Schnellere Genesung und geringere Sterblichkeit durch neuen Therapieansatz bei schwerem COVID-19
Der Ansatz kann möglicherweise auch auf andere Infektionen übertragen werden
Die physiologische Aufgabe von FasL besteht darin, Zellen des Immunsystems, sogenannte T-Lymphozyten, kurz T-Zellen, unter Kontrolle zu halten, indem diese abgetötet werden, sobald diese ihre Aufgabe erfüllt haben. Bei Patient*innen mit schwerem COVID-19 kommt es jedoch zu einer Überreaktion des Immunsystems, was wiederum zu einer Überproduktion von FasL führt. Das hat zur Folge, dass FasL zu viele T-Zellen abtötet und zudem auch normale Lungenzellen angreift. Dieser vermehrte Zelltod führt zu Lymphopenie, einem Mangel an Lymphozyten im Blut, und zu einer schweren Lungenentzündung, zwei charakteristischen Merkmalen von schwerem COVID-19. Das neue Therapiekonzept basiert darauf, FasL zu blockieren und dadurch den ungewollten Tod von T-Zellen und Lungenepithelzellen und die daraus resultierende Entzündung zu verhindern.
In vorklinischen Studien in Mäusen konnte das Team bereits zeigen, dass die therapeutische Wirkung der FasL-Hemmung das Überleben von Mäusen mit schwerem COVID-19 deutlich erhöht. Die Dosisfindungsstudie der Phase II mit dem FasL-Hemmer Asunercept wurde als akademisch-industrielle Zusammenarbeit von Professor Dr. Henning Walczak und seinem Team an der Universität zu Köln und dem University College London (UCL) sowie Professor Dr. Michael Bergmann an der MedUni Wien und Dr. Thomas Höger der Apogenix GmbH1, einem Biotech-Unternehmen aus Heidelberg, initiiert. Die klinische Studie wurde an insgesamt 10 Studienzentren in Spanien und Russland zwischen Oktober 2020 und Dezember 2021 durchgeführt.
„Wichtig ist, dass die Hemmung des Fas-Liganden auf die Überreaktion des Immunsystems des Wirts und nicht auf das Virus selbst abzielt. Ich gehe daher davon aus, dass unser Ansatz nicht nur bei künftigen Ausbrüchen beunruhigender SARS-CoV-2-Varianten wirksam sein sollte, sondern möglicherweise auch bei anderen RNA-Virus-Infektionen, die in Zukunft in der menschlichen Bevölkerung auftreten könnten.
Insbesondere bevor Impfstoffe gegen solche Viren zur Verfügung stehen, wäre es entscheidend, dass uns solche Medikamente in einer nächsten pandemischen Situation bereits von Anfang an zur Verfügung stehen“, sagt Henning Walczak, Alexander von Humboldt-Professor für Biochemie an der Medizinischen Fakultät und am Exzellenzcluster für Alternsforschung CECAD der Universität zu Köln und Professor für Tumorbiologie am UCL Cancer Institute.
Insgesamt nahmen 438 Patient*innen an der Studie teil, die unter Federführung von Dr. Maria Pilar Ruiz Seco (Universitätshospital Infanta Sofía, Madrid), Dr. Jose Ramon Paño Pardo (Universität Saragossa/IIS Aragón/CIBERINFEC) und Dr. Christian Schörgenhofer (MedUni Wien) geleitet und begleitet durch den stellvertretenden Leiter der Universitätsklinik für Klinische Pharmakologie der MedUni Wien, Professor Dr. Bernd Jilma, durchgeführt wurde. Die Teilnehmenden wurden in vier Gruppen aufgeteilt. Alle Patient*innen bekamen die „Standard-of-Care“-Behandlung. Zusätzlich wurden in drei der vier Gruppen jeweils verschiedene Dosierungen des FasL-Hemmers Asunercept gegeben (25 Milligramm, 100 Milligramm und 400 Milligramm wöchentlich) und mit der Kontrollgruppe verglichen.
Eine klinische Verbesserung wurde nach durchschnittlich acht Tagen für die Dosierungen 100 und 400 Milligramm und neun Tagen für die 25 Milligramm Dosis erreicht. Die Patient*innen der Standard-of-Care Kontrollgruppe erreichten nach durchschnittlich 13 Tagen eine klinische Verbesserung. Während eine statistische Signifikanz in den einzelnen Dosisgruppen jeweils knapp verfehlt wurde, ergab eine Post-hoc-Analyse, bei der die drei Asunercept-Dosisgruppen kombiniert wurden, eine signifikante therapeutische Wirkung des FasL-Hemmers im Hinblick auf eine frühere Genesung von durchschnittlich acht statt 13 Tagen in der Kontrollgruppe. Die 100- und 400-Milligramm-Dosen waren zudem mit einer Verringerung der Sterblichkeit um rund 20 Prozent verbunden. Insgesamt konnten in dieser Studie somit die Sicherheit und gute Verträglichkeit des FasL-Hemmers nachgewiesen und äußerst vielversprechende Ergebnisse in Bezug auf die Wirksamkeit dieses Medikaments bei Patienten mit schwerem COVID-19 erzielt werden.
Diese Ergebnisse machen die Hemmung von FasL zu einem der wenigen Konzepte, die während der COVID-19-Pandemie als potentiell therapeutisch wertvoll identifiziert wurden. „Auch wenn weitere klinische Studien für die Bestätigung der Wirksamkeit erforderlich sind, zeigt unsere Studie, dass die Gabe des FasL-Hemmers einen positiven therapeutischen Effekt auf die Patienten hat. Durch die verkürzte Genesungszeit könnte in künftigen Pandemien einerseits die Belastung des Gesundheitssystems und andererseits die Einschränkungen für die Bevölkerung reduziert werden“, so Michael Bergmann, Chirurg und Forscher an der MedUni Wien. Zudem finden sich erhöhte FasL-Spiegel auch in Proben aus den unteren Atemwegen von Patienten, die nach einer Infektion mit einer pandemischen Version des Influenza-A-Grippe-Virus schwer erkrankt sind, worauf das Anwendungsgebiet künftig ausgeweitet werden könnte.
Originalveröffentlichung
Maria Pilar Ruiz Seco, José Ramón Paño Pardo, Christian Schoergenhofer, Christiane Dings, Thorsten Lehr, Felix Herth, ... Diego de Miguel, Meinolf Thiemann, Michael Bergmann, Henning Walczak, Thomas Hoeger; "Efficacy and safety of asunercept, a CD95L-selective inhibitor, in hospitalised patients with moderate-to-severe COVID-19: ASUNCTIS, a multicentre, randomised, open-label, controlled, phase 2 trial"; eClinicalMedicine, Volume 77