Neuer Mechanismus zur Gewebeformung von Tieren

Mechanismus für dreidimensionale Änderungen in der Form von Geweben bei Tieren.

14.08.2024
Fuhrmann et al., Science Advances 2024, MPI-CBG

Flügelscheibe der Fruchtfliege vor (links) und nach (rechts) der Umstülpung. Der blaue Bereich, wandelt sich von einer Kuppel in eine gekrümmte Falte um. Die Linien zeigen die Hauptachsen, die zur Analyse der Veränderungen verwendet wurden.

Eine zentrale Frage der Biologie und Biophysik ist, wie dreidimensionale Gewebeformen während der Entwicklung von Tieren entstehen. Forschungsteams des Max-Planck-Instituts für molekulare Zellbiologie und Genetik (MPI-CBG) in Dresden, des Exzellenzclusters Physik des Lebens (PoL) an der TU Dresden und des Zentrums für Systembiologie Dresden (CSBD) haben nun einen Mechanismus gefunden, durch den Gewebe "programmiert" werden können, um von einem flachen Zustand in eine dreidimensionale Form zu gelangen. Dazu untersuchten die Forscher die Entwicklung der Fruchtfliege Drosophila und ihrer Flügelscheibentasche (wing disc pouch), die von einer flachen Kuppelform in eine gekrümmte Falte übergeht und sich später in den Flügel einer erwachsenen Fliege weiterentwickelt. Die Forscher haben eine Methode entwickelt, um dreidimensionale Formveränderungen zu messen und zu analysieren, wie sich Zellen während dieses Prozesses verhalten. Mithilfe eines physikalischen Modells, das auf der Form-Programmierung basiert, fanden sie heraus, dass die Bewegungen und Neuanordnungen von Zellen eine Schlüsselrolle bei der Formung des Gewebes spielen. Die in Science Advances veröffentlichte Studie zeigt, dass die Methode der Form-Programmierung ein allgemeines Verfahren sein könnte, um die Bildung von Geweben bei Tieren zu untersuchen.

Epithelgewebe sind Schichten aus eng miteinander verbundenen Zellen und bilden die Grundstruktur vieler Organe. Die Gewebe verändern ihre Form dreidimensional, um funktionelle Organe zu bilden. Einige Mechanismen für dreidimensionale Formen wurden bereits erforscht, sie reichen jedoch nicht aus, um die Vielfalt der tierischen Gewebeformen zu erklären. Beispielsweise wandelt sich der Flügel der Fruchtfliege während eines Prozesses, der als Flügelscheibenumstülpung bezeichnet wird, von einer einzelnen Zellschicht zu einer Doppelschicht. Wie die Flügelscheibentasche diese Formveränderung von einer radialsymmetrischen Kuppel zu einer gekrümmten Faltenform durchläuft, ist unbekannt.

Die Forschungsgruppen von Carl Modes, Forschungsgruppenleiter am MPI-CBG und am CSBD, und Natalie Dye, Forschungsgruppenleiterin am PoL und zuvor am MPI-CBG tätig, wollten herausfinden, wie diese Formveränderung zustande kommt. „Um diesen Prozess zu erklären, haben wir uns von „form-programmierbaren“ unbelebten Materialflächen inspirieren lassen, wie zum Beispiel dünnen Hydrogelen, die sich durch innere Spannungen in dreidimensionale Formen verwandeln können, wenn sie stimuliert werden“, erklärt Natalie Dye und fährt fort: „Diese Materialien können ihre innere Struktur über die gesamte Fläche hinweg kontrolliert verändern, um bestimmte dreidimensionale Formen zu erzeugen. Dieses Konzept hat bereits geholfen zu verstehen, wie Pflanzen wachsen. Tierische Gewebe hingegen sind dynamischer, mit Zellen, die ihre Form, Größe und Position verändern.”

Die Forschenden untersuchten, ob die Form-Programmierung ein Mechanismus sein könnte, um die Entwicklung von Tieren zu verstehen. Dazu maßen sie die Formveränderungen des Gewebes und wie sich die Zellen während der Umstülpung der Flügelscheibe von Drosophila verhielten, wenn sich die kuppelförmige Form in eine gekrümmte Faltenform umwandelte. "Mithilfe eines physikalischen Modells konnten wir zeigen, dass kollektives, programmiertes Zellverhalten ausreicht, um die Formveränderungen in der Flügelscheibentasche zu bewirken. Externe Kräfte aus dem umgebenden Gewebe sind also nicht erforderlich, und die Umgruppierung der Zellen im Gewebe ist die Hauptursache für die Formveränderung", sagt Jana Fuhrmann, Postdoktorandin in der Forschungsgruppe von Natalie Dye. Zur Bestätigung, dass eine veränderte Zellanordnung die Hauptursache für die Umstülpung ist, testeten die Forschenden dies durch eine Einschränkung der Zellbewegung, was zu Problemen bei der Formung des Gewebes führte.

Abhijeet Krishna, Doktorand in der Gruppe von Carl Modes zum Zeitpunkt der Studie, erklärt: „Die neuen Modelle für die wir für die Form-Programmierbarkeit entwickelt haben, sind mit verschiedenen Arten des Zellverhaltens verbunden. Diese Modelle beinhalten sowohl richtungsunabhängige als auch richtungsabhängige Effekte. Zwar gab es bereits frühere Modelle für die Form-Programmierbarkeit, doch diese berücksichtigten jeweils nur eine Art von Effekt. Unsere Modelle kombinieren beide Arten und verknüpfen sie direkt mit dem Zellverhalten.“

Natalie Dye und Carl Modes folgern: "Wir haben herausgefunden, dass innere Spannungen, die durch aktives Zellverhalten hervorgerufen werden, die Flügelscheibentasche von Drosophila während der Umstülpung formen. Mit unserer neuen Methode und einem theoretischen Rahmen, der sich von formprogrammierbaren Materialien ableitet, konnten wir Zellmuster auf jeder beliebigen Gewebeoberfläche messen. Diese Werkzeuge helfen uns zu verstehen, wie tierisches Gewebe seine Form und Größe in dreidimensionaler Hinsicht verändert. Unsere Arbeit deutet darauf hin, dass frühe mechanische Signale dazu beitragen, das Verhalten der Zellen zu steuern, was später zu Veränderungen der Gewebeform führt. Die Ergebnisse veranschaulichen Prinzipien, die in größerem Umfang genutzt werden könnten, um andere Prozesse der Gewebeformung besser zu verstehen.”

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