Systembiologie hilft, Blutbildung zu verstehen
Auf Blutverlust reagiert unser Körper, indem er die Produktion von roten Blutkörperchen, den Erythrozyten, ankurbelt. Das Signal dafür erhalten die Zellen des blutbildenden Systems im Knochenmark vom Hormon Erythropoietin, besser bekannt unter der Kurzbezeichnung Epo. Das Hormon wird vor allem in der Niere produziert, die in Reaktion auf eine sinkende Sauerstoffsättigung des Bluts den Epo-Spiegel um das bis zu tausendfache in die Höhe treiben kann.
Die blutbildenden Zellen empfangen das Epo-Signal über die so genannten Epo-Rezeptoren auf ihrer Oberfläche. Wie schaffen es die Blutstammzellen, die nur wenige Rezeptormoleküle tragen, auf einen starken Anstieg der Epo-Konzentration angemessen zu reagieren und immer die erforderliche Menge roter Blutkörperchen bereitzustellen? „Wenn zuviel Hormon zuwenig Rezeptormoleküle überschwemmt, wäre eigentlich zu erwarten, dass schnell der Sättigungspunkt erreicht ist, an dem die blutbildende Zelle nicht mehr auf eine weitere Steigerung der Hormonkonzentration reagieren kann“ sagt Dr. Ursula Klingmüller vom Deutschen Krebsforschungszentrum.
Mitarbeiter aus ihrer Abteilung, die der Helmholtz-Allianz für Systembiologie und dem BMBF-MedSys-Netzwerk LungSys angehören, gingen gemeinsam mit Kollegen aus der Arbeitsgruppe von Professor Jens Timmer an der Universität Freiburg der Frage nach, wie blutbildende Zellen trotzdem auf eine um Größenordnungen gesteigerte Epo-Menge linear reagieren können. In einem systembiologischen Forschungsansatz kombinierten die Forscher dazu experimentelle Daten mit mathematischen Modellen.
Das Forscherteam zeigte, dass nach der Bindung von Epo an seinen Rezeptor beide Moleküle schnell ins Innere der blutbildenden Zellen aufgenommen werden. Dort werden sowohl Rezeptor als auch Hormonmolekül abgebaut. Dabei wird die Zelloberfläche kontinuierlich mit neu synthetisierten Rezeptormolekülen bestückt, die als Vorrat in intrazellulären Lagern bereitstehen. „Dieser Durchsatz von Rezeptormolekülen funktioniert sehr schnell, so bleibt die Zelle in der Lage, weitere Hormonmoleküle in ihrer Umgebung zu erkennen und entsprechend zu reagieren“, erklärt Jens Timmer, der sowohl dem Freiburg Institut for Advanced Studies (FRIAS), dem Forschungskolleg der Universität Freiburg, wie auch dem Exzellenzcluster bioss angehört.
Gentechnisch hergestelltes Epo ist ein wichtiges Medikament gegen Blutarmut, etwa für Dialysepatienten, die oft an einem Mangel an roten Blutkörperchen leiden, weil diese bei der Blutwäsche zerstört werden und zusätzlich die versagende Nierenfunktion zu einem Mangel an natürlichem Epo führt. Die Ergebnisse der Heidelberger und Freiburger Wissenschaftler können dazu beitragen, Epo-Varianten mit verbesserten Bindungseigenschaften zu entwickeln und damit die Behandlung der Blutarmut effektiver zu gestalten.
Originalveröffentlichung: Verena Becker et al.; "Covering a Broad Dynamic Range: Information Processing at the Erythropoietin Receptor"; Science 2010
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