Physiker beobachteten zufällige Schleifen in Chromosomen und fanden heraus, wie Schleifen die räumliche Organisation des Genoms beeinflussen

27.11.2023

Die menschlichen Chromosomen sind lange Polymerketten, die genetische Informationen speichern. Der Zellkern jeder Zelle enthält das gesamte menschliche Genom (DNA), das auf 46 Chromosomen mit einer Gesamtlänge von etwa 2 Metern kodiert ist. Um in den mikroskopisch kleinen Zellkern zu passen und gleichzeitig einen ständigen Zugang zur genetischen Information zu gewährleisten, werden die Chromosomen im Zellkern auf eine spezielle, vorher festgelegte Weise gefaltet. Die DNA-Faltung ist eine dringende Aufgabe an der Schnittstelle von Polymerphysik und Systembiologie.

Kirill Polovnikov

Bild 1. Chromosom mit Schleifen (links) und die Peak-Dip-Ableitungskurve der Kontaktwahrscheinlichkeit (rechts). Auf großen und kleinen Skalen unterscheidet sich die Chromosomenfaltung aufgrund des durch Schleifen erzeugten Effekts der "Verdünnung der Verflechtungen" erheblich.

Vor einigen Jahren stellten Forscher als einen der Mechanismen der Chromosomenfaltung die Hypothese auf, dass die Schleifen auf den Chromosomen durch molekulare Motoren aktiv ausgefahren werden. Obwohl die Fähigkeit von Motoren, DNA in vitro zu extrudieren, nachgewiesen wurde, ist die experimentelle Beobachtung von Schleifen in einer lebenden Zelle eine technisch sehr schwierige, fast unmögliche Aufgabe. Ein Team von Wissenschaftlern von Skoltech, MIT und anderen führenden wissenschaftlichen Organisationen in Russland und den USA hat ein physikalisches Modell eines in Schleifen gefalteten Polymers vorgestellt. Die analytische Lösung dieses Modells ermöglichte es den Wissenschaftlern, die universellen Merkmale der Chromosomenpackung anhand der experimentellen Daten zu reproduzieren - das Bild zeigt die Peak-Dip-Ableitungskurve der Kontaktwahrscheinlichkeit. Die theoretische Arbeit wird es den Forschern ermöglichen, zu verstehen, wie die Extrusion von Schleifen die biophysikalischen Eigenschaften des Chromosoms beeinflusst, und Parameter dieser Schleifen aus den experimentellen Daten zu extrahieren. Der Artikel wurde in der Zeitschrift Physical Review X veröffentlicht.

"Die Extrusion von Schleifen durch Motoren ist, wie so oft in der Biologie, zufällig: Sie entstehen und verschwinden ständig. Dies erklärt insbesondere, warum ihr experimenteller Nachweis in einer einzelnen lebenden Zelle so schwierig ist. Wir haben einen anderen Ansatz gewählt: Wir haben eine physikalische Theorie entwickelt, die zeigt, wie zufällig verteilte Schleifen auf einem Polymer die räumliche Organisation des Polymers beeinflussen würden. Anschließend analysierten wir experimentelle Daten über die räumliche Anordnung von Chromosomen, die wir an Milliarden von lebenden Zellen gewonnen hatten, und fanden dort dieselben statistischen Merkmale", sagt Kirill Polovnikov, der Hauptautor der Studie, ein Assistenzprofessor und Leiter der Forschungsgruppe bei Skoltech.

Die entwickelte Theorie hat es ermöglicht, die typische Größe von Chromosomenschleifen und deren Dichte zu bestimmen. Darüber hinaus haben die Autoren einen neuen topologischen Effekt entdeckt, der mit Schleifen verbunden ist. Wenn die Schleifen extrudiert werden, verkürzt sich das Rückgrat der Kette, dehnt sich aber im dreidimensionalen Raum aufgrund des so genannten "Verdünnungseffekts von Verwicklungen" im Polymersystem aus. Die Wissenschaftler haben ein analytisches Modell für diesen Effekt entwickelt und ihre Ergebnisse auch in Computersimulationen bestätigt. Die Theorie hilft bei der Identifizierung und Charakterisierung von Chromosomenschleifen anhand experimenteller Daten und verändert unser Verständnis der topologischen Organisation von Chromosomen in einer lebenden Zelle.

"So wie Astrophysiker neue Exoplaneten durch die Abnahme der Leuchtkraft des Muttersterns während der Passage des Planeten finden, bietet unsere Theorie ein Werkzeug, um die 'Spur' von Schleifen in den Genomdaten zu erkennen. Überraschenderweise erweisen sich die identifizierten Merkmale nicht nur für den Menschen, sondern auch für die Zellen anderer Organismen als universell. Offenbar ist die Faltung der Chromosomen in Schleifen eines der allgemeinsten Prinzipien der räumlichen Organisation der DNA", fügt Kirill Polovnikov hinzu.

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