Proteine würfeln ums Bienengeschlecht
Über 100 Jahre altes Rätsel der Genetik gelöst
Das Geschlecht eines Lebewesens hat erhebliche Konsequenzen für dessen Gestalt, Funktion und Verhalten. Welches biologische Geschlecht ein Organismus hat, wird in der Regel am Anfang des Lebens bestimmt. Beim Menschen entscheidet zum Beispiel das Vorhandensein des geschlechtsbestimmenden „Y-Chromosoms“, ob ein Mann entsteht.
Mit den geschlechtsbestimmenden Mechanismen bei den Honigbienen (Apis mellifera) befasste sich bereits im Jahr 1845 der schlesische Pfarrer Johann Dzierzon. Er entdeckte unter anderem die ungeschlechtliche Zeugung der männlichen Bienen – der „Drohnen“.
Bienen besitzen – anders als der Mensch – kein einzelnes, das Geschlecht bestimmendes Chromosom. Ein Forschungsteam um Prof. Dr. Martin Beye vom Institut für Evolutionsgenetik der HHU fand jetzt heraus, dass das Geschlecht über nur ein einzelnes Gen, genannt „Csd“ (Complementary sex determiner), über einen besonderen Mechanismus festgelegt wird.
Dieses Gen kann über 100 verschiedene Ausprägungen haben, sogenannte Allele. In anderen Fällen, zum Beispiel bei Blumen, können verschiedene Allele eines Gens die Blütenfarbe festlegen.
Bei einer geschlechtlichen Befruchtung kommen die einfachen Chromosomensätze aus Ei- und Samenzelle zusammen, es entsteht ein doppelter – diploider – Chromosomensatz. Entsprechend liegt in jeder geschlechtlich befruchteten Biene nun zweimal eine Variante des Csd-Gens vor.
Die nächste Erkenntnis der Düsseldorfer Bienenforschenden: Wenn die beiden Allele des Csd-Gens unterschiedlich sind, entsteht eine weibliche Biene. Sind die Allele des Gens dagegen auf beiden Chromosomen gleich, entsteht eine männliche Biene. Da die Bienen dies aber verhindern wollen, um Inzucht zu vermeiden, werden diese Eier von den Arbeiterbienen nicht aufgezogen.
Die Frage war nun noch, wie sich diese Geschlechtsbestimmung auf molekularer Ebene vollzieht. Erstautorin Dr. Marianne Otte: „Dazu muss man wissen, dass jedes unterschiedliche Allel des Csd-Gens eine unterschiedliche Variante des zugehörigen Csd-Proteins erzeugt, die sich alle leicht unterscheiden. Wir konnten zeigen, dass nur unterschiedliche Csd-Proteine aneinander koppeln können und somit einen molekularen Schalter einschalten, der auf ‚weibliche Biene‘ steht. Sind die Proteine dagegen gleich, ist eine Kopplung nicht möglich und der Schalter bleibt aus, es entstünde eine männliche Biene, doch die wird nicht aufgezogen.“
Prof. Beye, der Letztautor der Studie in Science Advances ist: „Es ist wie ein molekulares Spiel mit zwei Würfeln: Nur gewinnt diesmal nicht der Pasch zweier gleicher Würfelaugen, sondern der Wurf muss zwei unterschiedliche Augenzahlen zeigen, damit im Ergebnis ein neues Lebewesen – ein Weibchen – aufgezogen wird.“
Die Drohnen entstehen dagegen aus einem unbefruchteten Ei, entsprechend haben diese männlichen Bienen nur einen einfachen Chromosomensatz mit gleichen Csd-Proteinen. Die Bienenkönigin entscheidet bei der Eiablage, dass sie dem Ei keinen Samen zuführt.
Dr. Otte: „Wir konnten ein über 100 Jahre altes Rätsel der Genetik lösen, indem wir es auf die Schalterfunktion des Csd-Proteins zurückführten.“ Prof. Beye zu den weiteren Forschungsfragen: „Unbekannt ist noch der Mechanismus, mit dem die Arbeiterinnen erkennen, ob das befruchtete Ei zwei unterschiedliche Csd-Proteine enthält und damit auf ‚weiblich‘ geschaltet ist. Da es im Bienenstock dunkel ist, muss es einen Geruchsreiz geben.“
Die Ergebnisse werden Maßnahmen zur Bienenzucht fördern.