Neue Methode zur Erzeugung genetisch modifizierter Masernimpfviren entwickelt

Rekombinante Masernviren – Impfstoffplattform und Waffe gegen Krebs?

01.12.2022 - Deutschland

Genetisch veränderte und ungefährliche Masernimpfviren gelten als vielversprechende Plattform für Forschung und Entwicklung von Vektor-Impfstoffen und onkolytische Masernviren. Die biotechnologische Herstellung dieser Viren ist schwierig, weil nur durch das genau abgestimmte Zusammenspiel der dafür erforderlichen Komponenten sich selbst vermehrende Viruspartikel entstehen. Einem Forscherteam des Paul-Ehrlich-Instituts ist es gelungen, ein Zwei-Komponenten-System zu entwickeln, mit dem alle benötigten Bestandteile in den erforderlichen Mengenverhältnissen zur Verfügung gestellt werden. Über die Ergebnisse berichtet das Journal of General Virology in seiner Ausgabe vom 28.11.2022.

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Symbolbild

Der beste Schutz vor einer Maserninfektion ist die Impfung gegen Masern. Dabei werden abgeschwächte, ungefährliche Masernviren eingesetzt, die sich noch in begrenztem Maße vermehren, jedoch keine Krankheit verursachen können. Die Masern-Schutzimpfung gehört zu den wirksamsten und am längsten wirkenden Impfungen überhaupt. Warum Masernimpfviren so hervorragend schützen, ist im Detail jedoch noch teilweise unklar. Hier kann die gezielte genetische Modifikation von Impfviren, z. B. durch das Einbringen eines ein fluoreszierendes Protein kodierenden Markergens, für die Grundlagenforschung helfen, entsprechende Zusammenhänge noch besser zu verstehen.

Rekombinante Masernviren – Impfstoffplattform und Waffe gegen Krebs?

Die (potenziellen) Einsatzmöglichkeiten gehen jedoch noch viel weiter. Genetisch modifizierte Masernimpfviren bieten eine interessante Plattformtechnologie für die Konstruktion von Vektor-Impfstoffkandidaten zum Schutz vor unterschiedlichen Krankheiten. Eine weitere potenzielle Einsatzmöglichkeit biotechnologisch hergestellter, d.h. rekombinanter Masernviren ist die Behandlung von Krebserkrankungen. Hier würden diese als sogenannte „onkolytische“ Viren gezielt Krebszellen abtöten. Allerdings ist die bisher angewandte Methode der Erzeugung von genetisch modifizierten, rekombinanten Masernviren ein recht komplexer und ineffizienter Prozess. Hierbei werden die modifizierten Virusgenome auf Plasmid-DNA (Desoxyribonukleinsäure) – das sind kleine ringförmige, sich autonom in ungefährlichen Bakterien vermehrende DNA-Moleküle – produziert, auf deren Basis dann die entsprechenden, vermehrungsfähigen Impfviren erzeugt werden müssen.

PD Dr. Michael Mühlebach, Leiter der Forschungsgruppe „Impfvektoren und Onkolytische Masernviren und Leiter des Fachgebiets Produktprüfung immunologischer Tierarzneimittel des Paul-Ehrlich-Instituts, beschäftigt sich schon seit etwa 15 Jahren mit rekombinanten Masernviren für unterschiedliche Einsatzmöglichkeiten und hat nach neuen Methoden geforscht, diesen Prozess zu vereinfachen und gleichzeitig effizienter zu machen.

Was die gentechnische Herstellung von Masernviren so schwierig macht – vereinfachtes „Rettungssystem“ entwickelt

Das Masernvirus besitzt ein einzelsträngiges RNA (Ribonukleinsäure)-Genom in umgekehrter Leserichtung (negativer Orientierung). Es ist deswegen nicht allein infektiös, sondern erfordert die gleichzeitige Verfügbarkeit weiterer Faktoren (virale RNA-abhängige RNA-Polymerase L, das Phosphoprotein P als Kofaktor der RNA-Polymerase und Nukleokapsidprotein N) in einer Zelle, die infektiöse Viruspartikel bilden soll. Diese Faktoren bilden den Nukleinsäure-Replikationsapparat des Masernvirus. Nur wenn diese Komponenten vorhanden sind, werden replikationskompetente, also vermehrungsfähige, rekombinante Masernvirus-Partikel freigesetzt. Solche Systeme, welche die Freisetzung replikationsfähiger Masernvirus-Partikel ermöglichen, werden auch als „rescue systems“ - Rettungssysteme – bezeichnet.

Um die Herstellung bzw. Vermehrung der rekombinanten Masernviren zu ermöglichen, wurden bereits verschiedene komplexe Rettungssysteme entwickelt, bei denen der virale Replikationsapparat durch die Verwendung von transgenen Zelllinien und/oder Expressionsplasmiden zur Verfügung gestellt wird. Diese Verfahren, die mindestens vier verschiedene Komponenten benötigen, sind häufig ineffizient und aufgrund der vielen Komponenten auch ein Problem im Hinblick auf die „Gute Herstellungspraxis“ (Good Manufacturing Practice, GMP), die bereits bei der Produktion von klinischem Prüfmaterial beachtet werden muss.

Geht es auch einfacher? Dieser Frage gingen Arne Auste und Michael Mühlebach nach und suchten nach Möglichkeiten, alle Helferfunktionen des viralen Replikationsapparates auf einem einzigen Helfer-Plasmid zu bündeln. Dies war insbesondere deswegen eine große Herausforderung, weil die relativen Mengen der verschiedenen benötigten Komponenten im Virus reguliert werden und wichtig für die Funktionalität sind. Die jeweiligen Mengenverhältnisse spielen dabei offenbar eine wichtige Rolle.

Dem Forschungsteam gelang es schließlich, ein Masernvirus-Rettungssystem zu entwickeln, das nur aus zwei Komponenten besteht: dem Plasmid, das für das (modifizierte) virale Genom kodiert, und einem Helferplasmid, das alle benötigten Helferfunktionen bündelt. Dieses Zweikomponenten-System funktioniert, wenn die Expressionsstärke der einzelnen Komponenten – gemeint ist damit die Intensität der Ablesung der einzelnen Gene (Transkription) und der Bildung der entsprechenden Proteine (Translation) – durch aufeinander abgestimmte Steuerelemente (Promotoren) den erforderlichen Bedingungen angepasst werden. Die Promotoren sind DNA-Abschnitte, die das Ablesen eines Gens (Expression) steuern. Durch diese ausgeklügelte Steuerung ist es möglich geworden, rekombinante Masernimpfviren auf Basis von nur zwei Plasmiden zu erzeugen.

Zwar besitzt dieses neue Zwei-Komponenten-System noch nicht die Effizienz der bisher verfügbaren komplexeren Systeme. Doch ebnen diese Forschungsergebnisse langfristig den Weg, effizientere Rettungssysteme zur Erzeugung rekombinanter Masernviren und deren Nutzung in der Forschung und Entwicklung zu erproben.

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