Schniefen statt Piksen: Forscher entwickeln nasale Corona-Impfstoffe

Menschen mit Spritzenangst leuchtet der Nutzen eines Impfstoff-Nasensprays vermutlich ein. Eine intranasale Verabreichung hätte aber womöglich weitere Vorteile

28.09.2022 - Deutschland

(dpa) Coronaviren verbreiten sich bekanntermaßen vor allem durch die Luft und gelangen in der Regel zunächst in Nase, Rachen und Lunge. Nur logisch eigentlich, direkt dort, in den Schleimhäuten, auch mit der Bekämpfung der Erreger zu beginnen und eine Infektion so bestenfalls ganz zu vermeiden. Tatsächlich arbeiten Forscher schon seit der Frühzeit der Pandemie an Schleimhaut-Impfstoffen. Anders als die bisherigen Impfstoffe sollen sie nicht in den Muskel gespritzt, sondern direkt in die Nase verabreicht beziehungsweise inhaliert werden.

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«Wenn der Impfstoff in den Muskel gespritzt wird, baut sich die Immunität vor allem im Blut beziehungsweise über den ganzen Körper verteilt auf. Das heißt, dass Coronaviren, die ja über die Oberfläche der Schleimhäute von Nase und Hals eindringen, vom Immunsystem erst relativ spät bemerkt und damit bekämpft werden können», erläutert Emanuel Wyler, Molekularbiologe am Max-Delbrück-Centrum für Molekulare Medizin in Berlin. «Um eine Ansteckung oder die Weitergabe des Virus zu verhindern, ist das zu spät.»

Die Schleimhautimpfstoffe sollen hingegen eine Immunität direkt am Eintrittsort von Sars-CoV-2 aufbauen und die Erreger dann zügig bekämpfen. Anfang September wurden zwei Präparate in Indien und China zugelassen. Dutzende weitere Kandidaten befinden sich in Entwicklung, einige werden bereits in klinischen Studien getestet.

Der Impfstoff des chinesischen Herstellers CanSinoBIO wird inhaliert und ist als Booster zugelassen. Das indische Präparat, entwickelt vom Unternehmen Bharat Biotech, ist auch für die Grundimmunisierung zugelassen und wird in die Nase gegeben. Beide Präparate beruhen auf abgeschwächten Adenoviren, einer Gruppe von Viren, die unterschiedliche Erkrankungen hervorrufen kann. Die abgeschwächten Viren können sich selbst nicht oder nur schlecht vermehren und somit keine Krankheiten auslösen. Sie transportieren aber genetisches Material von Sars-CoV-2 in die Zellen der Schleimhaut, woraufhin der Körper Antikörper und andere Abwehrstoffe gegen das Coronavirus bildet.

Die Hoffnung ist, dass die in den Schleimhäuten aufgebaute Immunität auch für längere Zeit vor Ansteckung schützt und die Weitergabe des Erregers bremst. «Wie gut das funktioniert, wissen wir momentan allerdings nicht, weil bisher nur wenige Daten von zugrundeliegenden Studien veröffentlicht wurden», sagt Leif Erik Sander, Immunologe und Impfstoffforscher von der Berliner Charité.

Bisher gibt es vergleichsweise wenig Erfahrung mit der Messung der Immunität in Schleimhäuten. Wie hoch muss zum Beispiel der Antikörper-Spiegel in der Schleimhaut sein, um tatsächlich von einem Schutz vor Ansteckung ausgehen zu können? Viele Fragen wie diese sind noch offen. Grundsätzlich aber brauche man genau solche Impfstoffe, sagt Sander. Es sei bedauerlich, dass in Europa oder in den USA nicht mit gleicher Intensität daran geforscht werde.

Einige Studien zu Schleimhaut-Impfstoffen laufen aber auch außerhalb Asiens. In den USA ist etwa das Pharmaunternehmen Codagenix weit vorangeschritten. Eigenen Angaben zufolge testet es sein Präparat in einer klinischen Studie der fortgeschritteneren Phase II/III in Zusammenarbeit mit dem Serum Institut of India im Rahmen eines WHO-Projekts.

In Deutschland arbeitet der Biologe Wyler in einem Team mit Wissenschaftlern der Charité unter Federführung der FU Berlin an einem Nasenspray-Impfstoff, der genau wie der Impfstoff von Codagenix auf abgeschwächten Coronaviren basiert. Der Vorteil hierbei ist, dass dem Immunsystem ein vollständiges Virus präsentiert wird - und nicht nur einzelne Eiweiße wie in den meisten anderen der derzeit verfügbaren Corona-Impfstoffe. Man erhofft sich davon einen besseren Schutz auch vor neu auftauchenden Varianten. Dass das Impfvirus selbst wieder die Fähigkeit erlangt, sich massiv zu vermehren und krank zu machen, hält Wyler für extrem unwahrscheinlich. «Wir haben für die Abschwächung 200 von 30 000 Bausteinen des Virus verändert - das ist eine große Hürde.»

Ergebnisse aus Tierversuchen verliefen demnach erfolgreich: Der Impfstoff rief bei Hamstern eine effektive Immunantwort hervor, nach zwei Dosen hätten die Tiere nach einer gezielten Infektion mit dem Coronavirus fast keine Anzeichen einer Erkrankung und sehr geringe Entzündungswerte gezeigt. Als Booster nach einer vorangegangenen mRNA-Impfung schützte der Nasen-Impfstoff besser als zwei mRNA-Impfstoff-Dosen allein. «In Zusammenarbeit mit dem Unternehmen Rocket Vax geht das Projekt nun in Richtung klinische Studie», erläutert Wyler. «Zunächst soll in einer Phase-1-Studie an ungefähr 100 Probanden die Verträglichkeit des Präparats belegt und etwa die Dosierung geprüft werden.»

Ein speziell bei einem intranasal verabreichten Impfstoff zu berücksichtigender Sicherheitsaspekt betrifft die Nähe zu den Gesichtsnerven. Der nasale Grippeimpfstoff eines Schweizer Pharmaunternehmens wurde 2001 vom Markt genommen, nachdem sich Fälle von Gesichtslähmung bei Geimpften häuften. «Das ist eine mögliche Nebenwirkung solcher Produkte, die wir uns genau anschauen müssen», sagt Wyler. Momentan ist nur ein nasal verabreichter Schleimhaut-Impfstoff in Europa zugelassen, für Kinder und Jugendliche gegen die Grippe.

Aber braucht man solche Impfstoffe in der Corona-Pandemie überhaupt noch? Schließlich ist in vielen Ländern die Immunität in der Bevölkerung dank der Impfungen und als Folge der Infektionen mittlerweile deutlich angestiegen. Klaus Stöhr, Epidemiologe und unter anderem Mitglied des Corona-Sachverständigenausschusses, der die Corona-Maßnahmen der Bundesregierung unabhängig bewertet hatte, ist skeptisch.

«Nasale Impfstoffe haben nichts mit dem Ausgang der Pandemie zu tun und falls sie in einigen Jahren bestenfalls in Industrieländern zugelassen wären, keinen signifikanten Einfluss auf die Entstehung von Escape-Varianten oder die Viruszirkulation», schrieb Stöhr kürzlich auf Twitter. Stöhr zufolge ist eine Zulassung in allen Altersgruppen «extrem unwahrscheinlich» - ein weit verbreiteter Einsatz aber nötig, um die Viruszirkulation zu stoppen oder die Entstehung von Immunflucht-Varianten zu verhindern.

Mediziner Sander kann sich eine gezielte Anwendung der Impfstoffe in besonderen Personengruppen oder besonderen Situationen hingegen gut vorstellen. «Ich halte ein Szenario für denkbar, dass hochgefährdete Gruppen, etwa Bewohner von Pflegeheimen, vielleicht alle drei Monate mit so einem Nasenspray ihre Immunität auffrischen.» In so einer Situation zahle sich die vergleichsweise einfache Verabreichung als Nasenspray aus. Intranasale Impfstoffe seien auch für die gar nicht so kleine Gruppe von Menschen interessant, die unter einer starken Angst vor Spritzen leiden, ergänzt Biologe Wyler.

Er weist allerdings auch auf die hohen Hürden hin, den ein Schleimhautimpfstoff mit Blick auf die Zulassung nehmen muss. «Wir sind nicht mehr in der gleichen Situation wie 2020», sagt Wyler. «Ein möglicher neuer Impfstoff muss sich gegen alle Impfstoffe durchsetzen, die momentan auf dem Markt sind - er muss einfach besser sein.» Allerdings sei alles, was jetzt erforscht werde, auch hilfreich für die Entwicklung anderer Schleimhaut-Impfstoffe - «gegen Grippe, virale Atemwegserkrankungen oder alles andere, was noch kommen mag.»

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