Konkurrierende Zellen: Hinter sich aufräumen bringt Vorteile

22.07.2022 - Deutschland

Wenn verschiedene Zelltypen auf engem Raum miteinander konkurrieren, haben diejenigen eine bessere Chance ihre Umgebung zu dominieren, die abgestorbene Zellen schneller entfernen. Forschende des Max-Planck-Instituts für Dynamik und Selbstorganisation (MPI-DS) zeigten in ihrem Modell, dass nicht nur eine hohe Vermehrungsrate, sondern auch die schnelle Beseitigung toter Zellen einen Wettbewerbsvorteil darstellt. Sie mischten zwei Zellpopulationen, die sich nur in der Abtragungsrate unterscheiden und zeigten, dass bereits nach wenigen Generationen die Population mit der höheren Abtragungsrate beginnt, den begrenzten Raum zu dominieren.

MPI-DS, LMP

In einem begrenzten Raum konkurrieren zwei Zelltypen (blau und rosa) um Platz zum Wachsen. Die Forscher des MPI-DS haben in ihrem Modell gezeigt, dass eine schnellere Beseitigung toter Zellen (erkennbar an ihrer runzeligen Oberfläche) einen Wettbewerbsvorteil für das Wachstum darstellt, wie hier für die blaue Zellpopulation dargestellt.

In biologischen Organismen und Geweben findet ein ständiger Austausch von Zellmaterial statt, z. B. um die Integrität des Gewebes aufrechtzuerhalten, beim Tumorwachstum oder in Gemeinschaften von Bakterien. Typischerweise dominieren dabei jene Zelltypen den begrenzten Raum, die sich in einer gegebenen Umgebung am schnellsten vermehren oder seltener absterben. "Diese traditionellen Faktoren sind jedoch nicht die einzigen, die die Konkurrenzfähigkeit bestimmen, wenn man auch die Überreste von abgestorbenen Zellen berücksichtigt", sagt Ramin Golestanian, geschäftsführender Direktor am MPI-DS. In ihrer Studie haben die Forschenden der Abteilung Physik Lebender Materie gezeigt, dass Zelltypen deren Überreste nach dem Tod schneller beseitigt werden, aufgrund dieser Eigenschaft zur dominierenden Art werden können.

In einem Modell simulierten die Wissenschaftler*innen wachsende Zellen, die einen begrenzten Raum ausfüllen, bis sich ein mechanischer Druck aufbaut und ein Zustand erreicht wird, in dem sich Teilung und Zelltod die Waage halten. "Wir wollten herausfinden, welchen Einfluss tote Materie auf das Wachstum eines lebenden Systems hat. Dazu haben wir ein einfaches Modell entworfen, das als eines der ersten seiner Art die mechanischen Auswirkungen toter Zellen explizit berücksichtigt", beschreibt Yoav Pollack, Erstautor der Studie, den Ansatz. "Wir haben zwei Zelltypen analysiert, die sich ausschließlich in der Abtragungsrate von totem Material unterscheiden und verfolgten den Anteil beider Populationen über die Zeit verfolgt. Wir konnten dabei eine deutliche Auswirkung auf die Gesamtfitness beobachten:  Der Zelltyp, dessen tote Zellen schneller entfernt werden, war deutlich im Vorteil", erklärt er.

Platz für neue Zellen schaffen

Auf den ersten Blick scheint die Beseitigung von abgestorbenem Material nichts mit der Bildung neuer Zellen zu tun zu haben - oder sogar kontraproduktiv zu sein, da so Platz für das Eindringen anderer Arten geschaffen wird. Das Modell zeigt jedoch, dass durch die schnellere Beseitigung von totem Material die Anzahl der lebenden im Vergleich zu den toten Zellen steigt. Insgesamt führt dies zu einem responsiveren Wachstum, wenn sich einer der beiden Zellpopulationen die Möglichkeit zur Expansion bietet. Während dies bei einer homogenen Population desselben Typs kaum ins Gewicht fällt, ist an der Grenzfläche wo verschiedene Zelltypen um Platz konkurrieren ein deutlicher Unterschied festzustellen. Bei der Population mit der höheren Abtragungsrate ist es wahrscheinlicher, dass sich in der Nähe eine lebende Zelle befindet, die den frei gewordenen Platz durch Teilung füllen kann. Auf diese Weise verschafft der höhere Anteil an lebenden Zellen einen Wettbewerbsvorteil.

"Vereinfacht könnte man sagen, dass das Ausräumen und Besetzen von neuem Raum vorteilhafter ist als das Festhalten an bereits besetztem Raum", kommentiert Gruppenleiter Philip Bittihn. "In bestimmten Fällen könnte dieser neue Beitrag zum Wettbewerb auch erklären, warum sich biologische Gewebe und Organismen so entwickelt haben, dass sie bestimmte Mechanismen zum Entfernen von Zellen verwenden, die im Vergleich zu den Alternativen effizienter sind", schließt er.

Da dieser Effekt in der vorliegenden Studie zum ersten Mal beschrieben wurde, eröffnen sich nunmehr neue Untersuchungsmöglichkeiten, wie z. B. die Analyse, inwieweit der Effekt im Verhältnis zu anderen Faktoren zur Gesamtfitness beiträgt. Das Modell zeigt jedoch bereits jetzt, dass sich das Aufräumen für die Zellen tatsächlich auszahlt. 

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