Ab wann beginnt man zu altern?

Altern vorprogrammiert: Gen-gesteuertes Wachstum in der Jugend lässt Blutstammzellen altern

20.06.2022 - Deutschland

Das Blut wird zeitlebens aus Blutstammzellen immer wieder neu gebildet. Diese Zellen verlieren jedoch im Alter ihre Funktionsfähigkeit. Forschende des Leibniz-Instituts für Alternsforschung – Fritz-Lipmann-Institut (FLI) fanden nun einen Gen-Mechanismus, der für die Alterung von Blutstammzellen verantwortlich ist. Das Gen Igf2bp2 ist in der Jugend für die volle Funktion der Blutstammzellen wichtig, da es deren Wachstum und Stoffwechsel aktiviert. Wenn es aber fehlt, dann vermindert sich überraschenderweise der alternsassoziierte Funktionsverlust. Das Altern der Blutstammzellen wird durch das Gen-gesteuerte Wachstum in der Jugend offenbar bereits vorprogrammiert.

Gerd Altmann / Pixabay

Der Wachstumsfaktor Igf2bp2 kontrolliert das Wachstum und die Stoffwechselaktivität der Blutstammzellen im jungen Alter und trägt damit zum alternsassoziierten Funktionsverlust der Stammzellen im späteren Leben bei.

Ab wann beginnt man zu altern? Darüber wird in der Wissenschaft schon länger spekuliert. Setzt das Altern bereits im frühen Leben ein, oder fängt dieser Prozess bereits im Embryo an? Erste Untersuchungen an Würmern haben gezeigt, dass das Fehlen bestimmter Wachstumsgene die Entwicklung der Würmer zwar verlangsamt, das Altern jedoch hinauszögern kann. Ob dieser Zusammenhang auch bei Säugetieren besteht, war bisher unklar und wurde daher in der aktuellen Studie an Blutstammzellen von Mäusen genauer untersucht und nun in der Fachzeitschrift „Blood“ veröffentlicht.

Wachstumsfaktor Igf2bp2 kontrolliert Funktion der Blutstammzellen im Jugendlichen

Forschende des Leibniz-Instituts für Alternsforschung – Fritz-Lipmann-Institut (FLI) in Jena konnten nachweisen, dass bei Mäusen der Wachstumsfaktor Igf2bp2 die Funktion der Blutstammzellen im jungen Erwachsenenalter kontrolliert, indem er den Stoffwechsel und das Wachstum der Stammzellen aktiviert. „Danach verliert das Gen mehr und mehr an Funktion und weist im fortgeschrittenen Alter kaum noch eine Aktivität in den Stammzellen auf“, erklärt Prof. K. Lenhard Rudolph, Forschungsgruppenleiter am FLI und Professor für Molekulare Medizin an der FSU Jena. „Erstaunlicherweise zeigen Mäuse, in denen das Gen mutiert ist, im weiteren Lebensverlauf eine Verminderung des alternsassoziierten Funktionsverlusts der Blutstammzellen, obwohl im Alter das Gen gar nicht mehr aktiv ist. Das deutet darauf hin, dass die Igf2bp2-Genfunktion im frühen Leben zur Alterung der Stammzellen führt.“

Die Blutstammzellen im Knochenmark sorgen ununterbrochen dafür, dass das Blutsystem lebenslang mit neuen Zellen versorgt wird und in Stresssituationen, etwa bei Infektionen, Entzündungen oder Blutungen, sofort mit der Produktion des jeweils erforderlichen Zelltyps begonnen werden kann. Die Regulation der Blutbildung, auch Hämatopoese genannt, wird durch ein komplexes System von Stammzellen abgesichert. Die Aktivität des Stoffwechsels und der Wachstumssignale trägt entscheidend zur Entwicklung der Stammzellfunktion bei. Im Rahmen der Alterung des Organismus kann eine erhöhte Stoffwechselaktivität aber auch zur funktionellen Erschöpfung der hämatopoetischen Stammzellen führen. Ob die Stoffwechsel­aktivität und die Teilungsaktivität der Blutstammzellen bei der Entwicklung des Embryos oder im jugendlichen Alter bereits zu einer Vorprogrammierung der späteren Alterung führen, war bislang nicht bekannt und daher Gegenstand der aktuellen Studie.

Alterung von Blutstammzellen ist im Gedächtnis der Zelle vorprogrammiert

Die experimentellen Arbeiten deuten darauf hin, dass die Aktivierung von Wachstum und Stoffwechsel in jugendlichen Mäusen den späteren Funktionsverlust von Blutstammzellen vorprogrammiert und im Gedächtnis der Zelle festschreibt. Demnach trägt die durch Igf2bp2-gesteuerte Wachstums- und Stoffwechselaktivität im jungen Alter zum alternsassoziierten Funktionsverlust der Blutstammzellen im fortgeschrittenen Alter bei.

„Die Studienergebnisse zeigen, dass für die ungestörte Entwicklung unserer Stammzellen eine bestimmte Wachstums- und Stoffwechselaktivität notwendig ist. Diese beiden Prozesse brennen sich aber gleichzeitig als eine Art Gedächtnis in unsere Zellen ein und tragen dann im späteren Leben zum Funktionsverlust der Blutstammzellen bei,“ postuliert Prof. Rudolph. „Noch sind die mechanistischen Grundlagen hinter diesem Zellgedächtnis weitestgehend unbekannt. Würde es aber gelingen, dieses ausreichend gut zu verstehen, dann könnten neue Therapien zur Verbesserung der Gesundheit im Alter entwickelt werden.“

Neue Untergruppe von Blutstammzellen

Die vorliegenden Arbeiten erfolgten in Kooperation mit Prof. Adam L. MacLean und seiner Mitarbeiterin, Megan Rommelfanger, von der University of Southern California, Los Angeles, USA. Die Forschungsgruppe des Systembiologen hat sich auf die Untersuchung von Genen auf Einzelzellebene spezialisiert. Mit dieser Expertise gelang es den Wissenschaftlern, eine neue Untergruppe von Blutstammzellen zu identifizieren, die bei jungen Mäusen im Teenager-Alter eine besonders starke Aktivität von Igf2bp2-abhängigen Stoffwechsel und Wachstum aufweisen.

„Die Aktivitätsphase des Igf2bp2-Gens im jungen Alter könnte eine Art Gedächtnis in den Blutstammzellen bewirken“, spekulieren die Forschenden, „die dann später im fortgeschrittenen Alter zu Funktionsstörungen des Blutsystems beitragen“. Dr. Miaomiao Suo, die Erstautorin der Studie, denkt, dass hierbei chemische Veränderungen in der Erbinformation, also epigenetische Faktoren, von Bedeutung sein könnten. „Wir altern, weil wir wachsen. Das können wir nicht umgehen. Aber es könnte in Zukunft möglich werden, das zelluläre Gedächtnis von Stoffwechsel- und Wachstumsaktivität zu löschen, um dadurch besser zu altern,“ schlussfolgert Prof. Rudolph.

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