Proteinkönigin Atossa befiehlt die Zellinvasion
Neues Protein entdeckt, das die Energieproduktion in Immunzellen ankurbelt und damit ihre Invasionskraft erhöht
© Mariana Guarda/ISTA
Atossa kommandiert die Energiesteigerung
Für Zellen ist es energetisch kostspielig, die Umgebung aus dem Weg zu räumen und ins Gewebe einzudringen. Das Immunsystem nutzt die Mitochondrien, die internen Kraftwerke der Zelle, um Energie zu gewinnen. Mitochondrien wandeln verschiedene Bestandteile wie Zucker in ATP, die zelluläre Währung für Energie, um. Die Forscher:innen haben nun herausgefunden, dass ein Protein, Atossa, eine Kaskade in Gang setzt, die mitochondrielle Energieerzeugung reguliert und verbessert.
„Atossa wirkt sowohl als Gaspedal als auch als Gangschaltung“, erklärt Siekhaus. „Erstens aktiviert das Protein zwei Stoffwechselenzyme, die dazu beitragen, dass mehr Treibstoff in die mitochondriale Fabrik gelangt, und zweitens schaltet es die Mitochondrien in einen höheren Gang.“ Dieser Gangwechsel wird dadurch bewirkt, dass Atossa die Konzentration des Proteins Porthos erhöht. Porthos ist eine RNA-Helikase, benannt nach einem der drei Musketiere, die für ihre Treue im Dienste der Königin bekannt sind. Porthos unterstützt dann den Aufbau des Apparates, der die Produktion von Proteinen ermöglicht, darunter viele, die die mitochondriale Aktivität und damit die Energieproduktion erhöhen.
Pionierarbeit an Fruchtfliegen relevant für den Menschen
Durch Bildgebung in lebenden Embryonen von Fruchtfliegen konnten die Forscher:innen eine deutliche Verringerung der Zellwanderung in Abwesenheit von Atossa feststellen. Außerdem wird die Funktion von Atossa nur in Pionierzellen benötigt. Ähnlich wie bei einer Expedition durch ein Dickicht leisten die ersten Zellen die Schwerstarbeit, sich mit der Machete einen Weg zu bahnen, und benötigen daher mehr Energie. Mit Unterstützung des Forschungspartners Dr. Thomas Köcher vom Vienna BioCenter verglichen die ISTA-Wissenschafter:innen die Energiewerte mit und ohne das Atossa-Gen und bestätigten, dass Atossa diese tatsächlich steigert.
Einen Hauptregulator wie Atossa gibt es jedoch nicht nur in Fruchtfliegen. Der dafür verantwortliche Proteincode in Fliegen ist zu 44 Prozent identisch mit dem vergleichbaren im Menschen. Tatsächlich konnte gezeigt werden, dass die Säugetiergene die Funktion des Fruchtfliegenproteins ersetzen können. „Wir sind sehr fasziniert von den Möglichkeiten, die sich dadurch eröffnen. Atossa könnte von zentraler Bedeutung für die Steigerung der Energieproduktion sein. In Immunzellen ist das zum Beispiel für die Produktion von Antikörpern und die Bestimmung weißer Blutkörperchen von Bedeutung. Atossa-ähnliche Proteine finden sich auch in Gehirnzellen. Hier liegen Defekte manchen neurodegenerativen Erkrankungen zugrunde“, sagt Siekhaus und weist auf künftige Forschungsansätze hin.
Das Vermächtnis einer Iranerin
„Die Arbeit mit Fliegen ist ideal, um komplizierte genetische Mechanismen aufzuspüren und neue Dinge zu entdecken. Es erfordert enormen Mut und großes Geschick, etwas völlig Unerforschtes zu analysieren. Für mich ist Shamsis Arbeit, die jeden Schritt des Ablaufs nachweist, ein Musterbeispiel für die beste Wissenschaft, die man auf diesem Gebiet betreiben kann“, lobt Siekhaus die Iranerin, die seit 2015 in ihrem Labor arbeitet. Shamsi Emtenani fügt hinzu: „Ich habe mir dieses spezielle Gen aus Neugierde angeschaut. Das Spannende daran ist: Wenn man als Erste die Funktion eines Gens im Bereich der Fruchtfliege entdeckt, darf man dessen Protein benennen.“
Das früher als CG9005 indizierte Protein wurde von Emtenani auf den Namen Atossa getauft. Da sich die Pionierzellen in einer Linie bewegen, eine nach der anderen, ähnlich einem Wasserlauf, wählte sie den Namen einer persischen Königin aus dem Reich der Achämeniden. „Atossa bedeutet wörtlich übersetzt 'tröpfelnd' und steht in Verbindung mit meiner Herkunft. Es schien mir auch passend für eine Königin, die drei Proteine befehligt – eines von ihnen ein Musketier –, die dafür verantwortlich sind, dass Zellen neue Gebiete erobern.“