Müllschlucker: Korallen filtern Mikroplastik aus Meerwasser

„Korallen sind die ersten Organismen, die als lebende Senke für Mikroplastik im Meer entdeckt wurden“

02.12.2021 - Deutschland

Riffbildende Korallen bauen kleine Kunststoffpartikel dauerhaft in ihr Kalkskelett ein – Studie in Gießener Meerwasser-Aquarien erbringt ersten Nachweis für Lebewesen, die langfristig Mikroplastik aus der Umwelt entfernen

Jessica Reichert

Speicherort für Mikroplastik: Steinkorallen.

Jessica Reichert

Korallenpolypen können Eine Koralle hat Mikroplastik (schwarze Partikel) in ihr Skelett eingebaut.

Jessica Reichert
Jessica Reichert

In den Weltmeeren findet man immer mehr winzige Partikel aus Kunststoff, das sogenannte Mikroplastik. Wo sich diese Abfallteilchen aus Autoreifen, Windeln, zerfallenden Plastiktüten und anderen Produkten langfristig einlagern, ist nicht abschließend erforscht. Bislang standen vor allem unbelebte Speicherorte im Fokus wie das arktische Eis, Sedimente in küstennahen Bereichen und die Tiefsee. Doch auch Lebewesen können Mikroplastik dauerhaft einlagern, wie eine Untersuchung der Justus-Liebig-Universität Gießen (JLU) in Meerwasser-Aquarien zeigt. Demnach nehmen Korallen aktiv Mikroplastik auf und bauen die Teilchen in ihr Kalkskelett ein. Die riffbildenden Tiere tragen so zur Reinigung des Meerwassers bei. Die Studie hat das Fachmagazin Global Change Biology veröffentlicht.

„Korallen sind die ersten Organismen, die als lebende Senke für Mikroplastik im Meer entdeckt wurden“, sagt Dr. Jessica Reichert, JLU-Korallenforscherin und Studienleiterin. Die Tiere könnten in Riffen weltweit bis zu 20.000 Tonnen Mikroplastik im Jahr binden, schätzen sie und ihr Team. Das entspricht etwa einem Prozent des Mikroplastiks im Riffwasser – allein für diese eine Tiergruppe. Dr. Reichert: „Unsere Studie lässt Korallenriffe in neuem Licht erscheinen. Sie können nicht nur dabei helfen, das ökologische Gleichgewicht der Ozeane zu erhalten, sondern auch als Langzeitspeicher für Mikroplastik dienen.“

Für die Studie untersuchten Reichert und ihr Team vier Korallenarten, die im Indopazifik beheimatet sind, wo rund 90 Prozent aller Korallenriffe liegen: Geweihkorallen, Pfötchenkorallen, kleinpolypige Steinkorallen und blaue Korallen. In den Gießener Meerwasser-Aquarien simulierten sie über 18 Monate eine starke Mikroplastik-Belastung. Wie die Tiere die etwa 100 Mikrometer kleinen Teilchen in ihre Körper aufnehmen, beobachtete das Team live durchs Mikroskop. Genaue Mengen lieferten Gewebe- und Skelettanalysen von 54 Korallen. Demnach lagern Korallen bis zu 84 Mikroplastikpartikel pro Kubikzentimeter in ihre Körper ein – vor allem im Skelett, aber auch im Gewebe. Ein Beispiel: Eine Koralle im Versuch nahm bis zu 600 Mikroplastikpartikel auf, während sie ihre Körpergröße von fünf auf zehn Zentimeter verdoppelte.

Doch wie genau gelangen die winzigen Kunststoffteilchen in die Koralle? Korallen ernähren sich von Plankton, das sie mit speziellen Zellen aus dem Wasser filtern. Dabei kann es passieren, dass auch andere kleine Teilchen aufgenommen werden. „Solche ungenießbaren Teilchen scheidet die Koralle normalerweise wieder aus“, sagt Dr. Reichert. „Manchmal aber läuft bei der Selbstreinigung etwas schief. Die Koralle verschluckt sich sozusagen und der Partikel bleibt im Körper.“

Auch wenn die permanente Aufnahme von Mikroplastik zunächst einen positiven Effekt auf marine Ökosysteme zu haben scheint, so kann es für die Koralle und ganze Riffsysteme gefährlich werden. Bereits 2019 hat das Gießener Team zusammen mit Forschenden aus Australien gezeigt, dass einige Korallenarten bei Mikroplastik-Belastung schlechter wachsen oder gar krank werden, z.B. Korallenbleiche oder Nekrosen zeigen. Mit der aktuellen Studie kommt ein neues Puzzlestück hinzu.

„Wir wissen nicht, welche langfristigen Folgen die Einlagerung von Mikroplastik für die Korallen haben wird, ", sagt die Gießener Forscherin. „Aber es könnte die Stabilität und Widerstandsfähigkeit der Riffe beeinträchtigen. Mikroplastik wäre dann eine zusätzliche Bedrohung für die ohnehin durch den Klimawandel gefährdeten Korallenriffe auf der ganzen Welt.“

Die Studie wurde im Rahmen des Projektes „Ocean 2100“ des deutsch-kolumbianischen Exzellenzzentrums für Meeresforschung CEMarin (Center of Excellence in Marine Sciences) durchgeführt und vom Deutschen Akademischen Austauschdienst (DAAD) gefördert. In der Gießener Meerwasser-Aquarienanlage von „Ocean 2100“ simulieren Forschende die Zukunft der Ozeane, etwa im Hinblick auf Klimawandel oder Mikroplastik-Belastung. Ziel ist es, besser einschätzen zu können, wie sich der globale Wandel in der Zukunft auf riffbildende Korallen auswirkt.

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