Virale Infektionen könnten Neurodegeneration vorantreiben

25.10.2021 - Deutschland

Manche Viruserkrankungen könnten möglicherweise zur Neurodegeneration beitragen. Das berichten Forschende des DZNE im Fachjournal „Nature Communications“. Ihre Einschätzung beruht auf Laborexperimenten, in denen sie zeigen konnten, dass bestimmte virale Moleküle die interzelluläre Verbreitung von Proteinaggregaten fördern, die für Hirnerkrankungen wie Alzheimer typisch sind. Diese Ergebnisse könnten Hinweise auf die Frage liefern, inwieweit akute oder chronische Virusinfektionen neurodegenerative Erkrankungen beeinflussen können.

Bild von Myriams-Fotos auf Pixabay

Aggregate aus fehlgefalteten Proteinen, die bei sogenannten Prion-Erkrankungen wie der Creutzfeldt-Jakob-Krankheit auftreten, haben die Fähigkeit, von einer Zelle zur anderen zu gelangen und dort ihre anomale Gestalt auf Proteine der gleichen Art zu übertragen. Infolgedessen breitet sich die Erkrankung im Gehirn aus. Ein ähnliches Geschehen wird für die Alzheimer- und die Parkinson-Erkrankung diskutiert, die ebenfalls Ansammlungen anomaler Proteine aufweisen. Der Austausch der Aggregate kann durch direkten Zellkontakt erfolgen, durch Freisetzung „nackter" Aggregate in den extrazellulären Raum oder durch Verpackung in Vesikeln – das sind winzige Bläschen, die von einer Lipidhülle umgeben sind und für die Kommunikation zwischen Zellen freigesetzt werden. „Die genauen Mechanismen der Verbreitung sind unbekannt“, sagt Ina Vorberg, Forschungsgruppenleiterin am DZNE-Standort Bonn und Professorin an der Universität Bonn. „Es ist aber eine naheliegende Vermutung, dass der Transfer von Aggregaten sowohl bei direktem Zellkontakt als auch über Vesikel von Ligand-Rezeptor-Wechselwirkungen abhängt. Denn in beiden Szenarien müssen Membranen in Kontakt treten und miteinander verschmelzen. Das geht leichter, wenn Liganden vorhanden sind, die an Rezeptoren auf der Zelloberfläche binden und dann eine Fusion der beiden Membranen hervorrufen.“

Experimente mit Zellkulturen

Ausgehend von dieser Vermutung führte Vorbergs Team – unterstützt von Kolleginnen und Kollegen des DZNE in München und Tübingen sowie Forschenden aus Belgien – umfangreiche Versuchsreihen mit verschiedenen Zellkulturen durch. Dabei untersuchten sie die interzelluläre Übertragung entweder von Prionen oder von Aggregaten aus Tau-Proteinen, wie sie in ähnlicher Form bei Prion-Erkrankungen oder der Alzheimer-Erkrankung und anderen „Tauopathien“ auftreten. In Nachahmung der Geschehnisse infolge einer viralen Infektion veranlassten die Forschenden die Zellen dazu, virale Proteine herzustellen, die die Bindung an Zielzellen und Fusion mit deren Membranen vermitteln. Als Musterbeispiele wurden zwei Proteine ausgewählt: Das SARS-CoV-2-Spike-Protein S, das dem COVID-19-Erreger entstammt, und das Vesikuläre Stomatitis-Virus-Glykoprotein VSV-G. Letzteres kommt in einem Virus vor, das Rinder und andere Tiere infiziert. Zudem wurden Zellen verwendet, die Rezeptoren für diese viralen Proteine aufwiesen: nämlich LDL-Rezeptoren, sie sind Andockstellen für VSV-G, und humanes ACE2, der Rezeptor für das Spike-Protein.

Liganden fördern Ausbreitung von Aggregaten

„Wir konnten zeigen, dass die viralen Proteine sowohl in die Zellmembran als auch in extrazelluläre Vesikel eingebaut werden. Ihre Anwesenheit steigerte deutlich die Ausbreitung von Proteinaggregaten zwischen Zellen, sowohl durch direkten Zellkontakt als auch durch extrazelluläre Vesikel. Die viralen Liganden sorgten für effizienten Transfer beziehungsweise Zustellung der Aggregate an die Empfängerzellen, in denen neue Aggregate induziert wurden. Die Liganden wirken wie Schlüssel, die die Empfängerzellen aufschließen und so die gefährliche Fracht einschleusen“, sagt Vorberg. „Sicherlich bilden unsere zellulären Modelle nicht die vielen Aspekte des Gehirns mit seinen sehr spezialisierten Zelltypen ab. Dennoch konnten wir zeigen, dass unabhängig vom Zelltyp, der die pathologischen Aggregate produzierte, die viralen Liganden zu einer verstärkten Ausbreitung missgestalteter Proteine zwischen den Zellen führten. Alles in allem deuten unsere Daten darauf hin, dass virale Ligand-Rezeptor-Wechselwirkungen die Übertragung pathologischer Proteine prinzipiell beeinflussen können. Dies ist eine neue Erkenntnis.”

Mögliche Auswirkungen auf Neurodegeneration

„Bei neurodegenerativen Erkrankungen findet man manchmal bestimmte Viren im Gehirn der Patienten. Es wird vermutet, dass sie Entzündungsreaktionen hervorrufen oder toxisch sind und so neurodegenerative Veränderungen beschleunigen. Virale Proteine könnten aber auch noch anders wirken: Sie könnten die interzelluläre Ausbreitung von Proteinaggregaten verstärken, die bei neurodegenerativen Erkrankungen wie Alzheimer bereits im Gange ist“, so Vorberg. „Das muss nun genauer mit Viren, die das Nervensystem befallen, untersucht werden. Der Einfluss von Virusinfektionen auf neurodegenerative Erkrankungen verdient eine tiefgreifendere Untersuchung.“

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