Starkes Comeback für die Chemie

Halbjahresbilanz der chemisch-pharmazeutischen Industrie

19.08.2021 - Deutschland

Die chemisch-pharmazeutische Industrie kann trotz Corona-Pandemie und Lieferkettenproblemen eine starke Bilanz für das erste Halbjahr 2021 vorlegen. Der Umsatz stieg dank guter Nachfrage im In- und Ausland sowie kräftig anziehender Preise (+ 4,7 Prozent) für chemisch-pharmazeutische Produkte um 12 Prozent auf 111 Milliarden Euro im Vergleich zum Vorjahreszeitraum. Die Zahl der Beschäftigten blieb unverändert bei 464.400.

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Durch den internationalen Erholungskurs konnte die deutsche Chemiebranche ihre Produktion im ersten Halbjahr ausweiten (Symbolbild).

Da die Industrieproduktion auf allen Kontinenten ihren Erholungskurs fortsetzte, entwickelte sich die Nachfrage nach Chemikalien dynamisch. Dadurch konnte Deutschlands drittgrößte Branche ihre Produktion von Januar bis Juni um 5,9 Prozent ausweiten. Die Kapazitätsauslastung der Anlagen stieg auf über 86 Prozent und lag damit deutlich oberhalb des für die Branche üblichen Niveaus. „Jedes fünfte Unternehmen stößt bei der Produktion an seine Kapazitätsgrenzen“, sagte Christian Kullmann, Präsident des Verbandes der Chemischen Industrie (VCI).

Prognose 2021

Auch wenn Engpässe bei Vorprodukten und Störungen der internationalen Lieferketten die Produktionsmöglichkeiten einschränken, bleibt die Branche dennoch für die zweite Jahreshälfte durch den großen Nachfrageüberhang ihrer Kunden zuversichtlich. Der VCI rechnet für das Gesamtjahr mit einem Produktionsanstieg von 4,5 Prozent und einem Umsatzwachstum von 11 Prozent. „Zum zweiten Mal nach 2018 wird unsere Industrie in diesem Jahr die Schallmauer von 200 Milliarden Euro durchbrechen und mit einem Umsatzrekord das Vorkrisenniveau deutlich übertreffen“, betonte VCI-Präsident Kullmann. „Das ist ein kraftvolles Comeback. Es zeigt eindrucksvoll, wie wichtig eine international wettbewerbsfähige Chemie- und Pharmaindustrie als Stabilitätsanker für unser Land ist.“ Eine Rekordzahl erwartet der VCI auch für die Investitionen der Unternehmen im Inland. Der Chemieverband geht davon aus, dass die Investitionen für Sachanlagen im laufenden Jahr von 8,4 auf knapp 9 Milliarden Euro steigen. Der Grund: Aufgeschobene Projekte aus dem Vorjahr werden nachgeholt und Kapazitäten ausgeweitet.

Wie der VCI in seiner Bilanz berichtet, profitierten nahezu alle Produktbereiche der Branche vom Aufschwung im ersten Halbjahr 2021. Besonders dynamisch legte die Grundstoffchemie zu: Die Produktion von Polymeren stieg um über 20 Prozent. Aber auch die Hersteller von Spezialchemikalien konnten ihr Produktionsniveau um 8,7 Prozent gegenüber dem Vorjahr ausweiten. Die Produktion von Pharmazeutika verzeichnete ein Plus von 1,4 Prozent. Lediglich chemische Erzeugnisse für den Konsum wie Seifen, Wasch- und Reinigungsmittel verbuchten einen Mengenrückgang von 1,8 Prozent.

Bundestagswahl: Weichenstellung für eine Erneuerung

Der VCI setzt darauf, dass nach der Bundestagswahl mit der nächsten Regierung ein Aufbruch zu besseren Rahmenbedingungen für den Industriestandort stattfindet, was auch die Zukunft der sozialen Marktwirtschaft über den Tag hinaus sichere. „Die Parteien der demokratischen Mitte sind sich im Kern einig, dass Deutschland ein Bündel von Maßnahmen braucht, um die Wettbewerbs- und Innovationsfähigkeit wirksam zu verbessern: schnell, unbürokratisch und nachhaltig. Die Politik muss neue Freiräume geben, statt einzuengen und zusätzliche Bürokratie zu erzeugen“, forderte Kullmann. „Ohne diese Unterstützung können die Unternehmen die Transformation zur Klimaneutralität bis 2045 kaum bewältigen und die Sicherung von Arbeitsplätzen und Wohlstand in Deutschland gerät in akute Gefahr.“

Der VCI hat insgesamt zehn Politikfelder identifiziert, auf denen sich mit Beginn der nächsten Legislaturperiode die Prioritäten ändern müssen, damit Deutschland ein international wettbewerbsfähiger Chemie- und Pharma­standort bleibt. Darunter sind zum Beispiel Dauer von Genehmigungsverfahren, Höhe der Unternehmenssteuern oder Niveau der Forschungsförderung zu finden. Akuten Handlungsbedarf sieht der VCI in der kommenden Legislaturperiode beim Strompreis, der für die energieintensive Branche ein entscheidender Kostenfaktor ist: Der Strompreis an der Deutschen Börse ist durch höhere Brennstoffpreise, vor allem aber durch einen höheren CO2-Preis im EU-Emissionshandel stark gestiegen. Aktuell kostet Strom die Unternehmen drei Mal so viel wie im Vorjahr. Das trifft besonders den Mittelstand hart. Kullmann: „Die kommende Bundesregierung muss alle staatlich bedingten Abgaben beim Strompreis prüfen und diese so weit wie möglich zurückfahren. Die für 2022 beschlossene Senkung der EEG-Umlage kann bestenfalls ein Anfang sein. Das EEG muss so schnell wie möglich weg.“ Eine entscheidende Voraussetzung für die Branche, um neue klimaneutrale Technologien erfolgreich einzusetzen, sei ein Strompreis von 4 Cent pro Kilowattstunde. „Diesen Preis sollte sich die neue Bundesregierung auf ihre Agenda setzen“, sagte der VCI-Präsident: „Das wäre ein starkes und vertrauensbildendes Signal an die Unternehmen.“

Um trotz Schuldenbremse ein Zukunftsprogramm für das Land zu realisieren, das die Transformation der Industrie und eine ökosoziale Marktwirtschaft voranbringt, schlägt der VCI einen Zukunftsfonds für die Investitionsoffensive des Bundes vor. Der VCI beziffert das Finanzvolumen auf insgesamt 300-500 Milliarden Euro bis 2030. Aus dem Zukunftsfonds sollen streng zweckgebunden Projekte und Maßnahmen für drei Bereiche finanziert werden: Förderung des Ausbaus erneuerbarer Energien und der notwendigen Netzinfrastruktur sowie von Energiespeichern. Unterstützung der ökologischen Transformation der Wirtschaft hin zur Klimaneutralität sowie Sicherstellung einer leistungsfähigen Verkehrs- und Digitalinfrastruktur. Kullmann: „Die Unternehmen brauchen für ihre Investitionsentscheidungen Planungssicherheit – und keine Zuschüsse nach jeweiliger Kassenlage.“

Deutliche Kritik übte der VCI-Präsident an den Plänen in Brüssel zur „Chemikalienstrategie für Nachhaltigkeit“. Dieses Vorhaben im Rahmen des Green Deal der EU-Kommission gehe nicht mehr von wissenschaftlich belegbaren Risiken aus, um Stoffe zu verbieten, sondern von einem theoretischen Gefährdungspotenzial. Dadurch könnten auf einen Schlag Tausende Stoffe vom Markt verbannt werden. Viele dieser Substanzen sind aber elementar für die Transformation der nächsten Jahrzehnte und werden in Zukunft noch wichtiger. Allein rund 1.000 Chemikalien werden für die Produktion von Halbleitern und Chips eingesetzt, die für E-Mobilität, intelligente Steuerung von Stromnetzen oder Windkraft- und Solaranlagen unverzichtbar sind. „Ohne Chemikalien keine Innovationen, keine besseren Technologien und kein Green Deal“, betonte der VCI-Präsident.

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