DNA-basiertes Material mit steuerbaren Eigenschaften
Potenzielle Anwendungen in der Medikamentenverabreichung und Geweberegeneration
© Davide Michieletto, University of Edinburgh and Jan Smrek, University of Vienna
Die wohlbekannte Form der DNA-Doppelhelix hat tiefgehende Auswirkungen auf ihr Verhalten. Ein lineares DNA-Molekül, d. h. ein DNA-Molekül mit zwei Enden, kann sich frei drehen und winden. Im Gegensatz dazu hat das Verbinden der beiden Enden zu einem DNA-Kreis zur Folge, dass jede zu starke oder zu geringe Windung der Doppelhelix "topologisch gesichert" bleibt: die zusätzliche Drehung kann nicht entfernt werden ohne das Molekül zu zerschneiden. Zusätzliche Verdrehungen in der Struktur haben interessante Folgen dafür, wie sich DNA-Moleküle im Raum anordnen – insbesondere wickeln und knicken sie sich aufeinander, ähnlich wie ein altes Telefonkabel, in sogenannte supercoiled-Konformationen (Abb. 1). Das Knicken der DNA baut Spannung von zu starken oder zu schwachen Windungen ab und verringert dadurch die Gesamtgröße des Moleküls. Aus diesem Grund geht man davon aus, dass Supercoiling ein natürlicher Mechanismus ist, den die Zellen nutzen um ihr Genom auf kleinsten Raum zu packen. Während eine kleinere Größe – wegen des geringeren Luftwiderstands – auf natürliche Weise zu einer schnelleren Diffusion von DNA-Molekülen in Lösung z.B. in Wasser oder durch Gelporen führt, kommt dieses gut verstandene Verhalten nicht vor, wenn viele DNA-Moleküle wie Spaghetti in einer Schüssel gepackt und miteinander verschlungen sind.
"Wir haben umfangreiche Computersimulationen von dichten Lösungen von DNA-Molekülen mit unterschiedlichem Grad an Supercoiling durchgeführt und dabei einige überraschende Ergebnisse gefunden", erklärt Jan Smrek von der Universität Wien, der Erstautor der Studie. "Im Gegensatz zu verdünnten Lösungen sind die DNA-Ringe hier umso größer, je stärker sie supergewickelt sind." Da die Moleküle einander ausweichen müssen, nehmen sie stark asymmetrische und verzweigte Konformationen an, die mehr Volumen benötigen als ihre nicht supergewickelten Gegenstücke. Interessanterweise und entgegen den Erwartungen, "führen die größeren DNA-Moleküle dennoch zu einer schnelleren Diffusion." Die schnellere Diffusion bedeutet unterdessen, dass die Lösung eine geringere Viskosität hat.
Supergewickelte DNA-Moleküle, die natürlicherweise in Bakterien vorkommen, werden als Plasmide bezeichnet. In vivo verfügen die Zellen über spezielle Proteine namens Topoisomerase, die das Ausmaß des Supercoiling in Plasmiden reduzieren können. "Dank dieser Proteine - die gereinigt und im Labor verwendet werden können - sind wir in der Lage, das Ausmaß von Supercoiling in ineinander verwickelte DNA-Plasmiden zu kontrollieren und ihre Dynamik mit Fluoreszenzfarbstoffen zu untersuchen. Überraschenderweise haben wir festgestellt, dass DNA-Plasmide, die mit Topoisomerase behandelt wurden und somit geringeres Supercoiling aufweisen, tatsächlich langsamer sind als ihre stark supergewickelten Gegenstücke", erklärt Rae Robertson-Anderson, die die Experimente an der Universität von San Diego leitete.
Um die überraschende schnellere Dynamik zu erklären, verwendeten die Wissenschaftler in der in Science Advances veröffentlichten Studie umfangreiche Simulationen auf Supercomputern, um zu quantifizieren wie sehr die Moleküle in Lösung ineinander verwickelt sind. Während wohl bekannt ist, dass ein ringförmiges Polymer – ähnlich wie ein kreisförmiges DNA-Plasmid – von einem anderen Ring aufgefädelt werden kann, d.h. dass letzteres das Auge des ersteren aufspießen kann, war nicht bekannt, wie sich diese Art der Verwicklung auf die Bewegung der supercoiled DNA auswirken würde. Dank der Simulationen fanden die Wissenschaftler*innen dabei heraus, dass ein hoher Grad an Supercoiling die auffädelbare Fläche jedes Moleküls verringert, was wiederum zu weniger Auffädelungen zwischen den Plasmiden führt und letztlich eine Lösung mit geringerer Viskosität ergibt. Trotzdem könnten sich die Plasmide immer noch umeinander wickeln und sich gegenseitig in ihrer Bewegung einschränken, ohne einander aufzufädeln. Das Supercoiling versteift jedoch die Konformationen und reduziert damit auch diese Art der Verwickelung.
Davide Michieletto von der Universität Edinburgh fasst zusammen: "Wir haben diese neuartigen Effekte nicht nur in Simulationen gefunden, sondern diese Trends auch experimentell nachgewiesen und eine Theorie entwickelt, die diese quantitativ beschreibt. Indem wir das Supercoiling verändern, können wir die Viskosität dieser komplexen Flüssigkeiten nach Belieben einstellen. Wir verstehen jetzt viel besser den Zusammenhang zwischen der adaptiven Geometrie der Moleküle und den daraus resultierenden Materialeigenschaften. Das ist nicht nur aus fundamentaler Sicht spannend, sondern verspricht auch nützliche Anwendungen. Mit Hilfe spezieller Enzyme, wie der Topoisomerase, kann man schaltbare DNA-basierte weiche Materialien mit steuerbaren Eigenschaften entwerfen."