Die Mechanik des Immunsystems
Spezielle Mikroskopie-Methoden erlauben es, die mechanische Wechselwirkung zwischen T-Zellen und kleinen Partikeln zu messen
Technische Universität Wien
Es sind hochkomplizierte Prozesse, die permanent in unserem Körper ablaufen, um Krankheitserreger in Schach zu halten: Die T-Zellen unseres Immunsystems sind ständig damit beschäftigt, nach Antigenen zu suchen – verdächtigen Molekülen, die an bestimmten Rezeptoren der T-Zellen andocken können wie ein Schlüssel, der exakt in ein bestimmtes Schloss passt. Dadurch wird die T-Zelle aktiv, die Abwehrmechanismen des Immunsystems werden in Gang gesetzt.
Wie dieser Prozess auf atomarer Ebene abläuft, ist bisher noch nicht gut verstanden. Klar ist nun allerdings: Beim Andocken der Antigene an der T-Zelle spielt nicht nur Chemie eine Rolle, entscheidend sind auch mikromechanische Effekte. Winzige Strukturen an der Zelloberfläche wirken wie mikroskopische Zugfedern. Winzige Kräfte, die dadurch auftreten, dürften für die Erkennung von Antigenen von großer Bedeutung sein. An der TU Wien gelang es nun erstmals, mit hochentwickelten Mikroskopiemethoden diese Kräfte direkt zu beobachten.
Möglich wurde das durch eine Kooperation der TU Wien mit der Humbold Universität Berlin, der ETH Zürich und der MedUni Wien.
Riechen und fühlen
Wir Menschen haben unterschiedliche Sinnesorgane, die auf physikalisch völlig unterschiedliche Weise funktionieren. Wir können riechen, also Substanzen chemisch detektieren, wir können tasten, also Objekte anhand des mechanischen Widerstandes klassifizieren, den sie uns entgegensetzen. Bei T-Zellen ist es ähnlich: Sie können die spezifische Struktur bestimmter Moleküle erkennen, sie können aber auch Antigene auf mechanische Weise „erfühlen“.
„T-Zellen haben sogenannte Microvilli, das sind winzige Strukturen, die wie kleine Härchen aussehen“, sagt Prof. Gerhard Schütz, Leiter der Biophysik-Arbeitsgruppe am Institut für Angewandte Physik der TU Wien. Wie sich bei den Untersuchungen zeigte, können bemerkenswerte Effekte auftreten, wenn diese Microvilli in Kontakt mit einem Objekt geraten: Die Microvilli können das Objekt umfassen, ähnlich wie ein gekrümmter Finger, der einen Bleistift festhält. Sie können sich dann sogar vergrößern, sodass aus dem fingerartigen Fortsatz schließlich ein langgezogener Zylinder wird, der sich über das festgehaltene Objekt stülpt.
„Dabei treten winzige Kräfte auf, in der Größenordnung von weniger als einem Nanonewton“, sagt Gerhard Schütz. Ein Nanonewton entspricht ungefähr der Gewichtskraft, die ein Wassertröpfchen mit einem Durchmesser von einem Zwanzigstelmillimeter auf eine Waage ausüben würde.
Kraftmessung im Hydrogel
Solche winzigen Kräfte zu messen, ist eine Herausforderung. „Uns gelingt das, indem wir die Zelle zusammen mit winzigen Probekügelchen in einem speziell entwickelten Gel platzieren. Die Kügelchen tragen an ihrer Oberfläche Moleküle, auf die die T-Zelle reagiert“, erklärt Gerhard Schütz. „Wenn wir den Widerstand kennen, den unser Gel den Kügelchen entgegensetzt, und genau messen, wie weit sich die Kügelchen in unmittelbarer Umgebung zur T-Zelle bewegen, können wir ausrechnen, welche Kraft zwischen der T-Zelle und den Kügelchen wirkt.“
Diese winzigen Kräfte und das Verhalten der Microvilli dürfte für die Erkennung der Moleküle und somit für das Auslösen einer Immunreaktion von großer Bedeutung sein. „Wir wissen, dass Biomoleküle wie etwa Proteine unterschiedliches Verhalten zeigen, wenn sie durch mechanische Kräfte deformiert werden, oder wenn ganz einfach an Bindungen gezogen wird“, sagt Gerhard Schütz. „Solche Mechanismen dürften auch bei der Antigen-Erkennung eine Rolle spielen, und mit unseren Messmethoden lässt sich das nun erstmals genau untersuchen.“