Neuer Test zur Bewertung der Umweltverträglichkeit von Chemikalien
Test prüft an Insekten, ob Substanzen in mehrzelligen Organismen vererbbare Veränderungen hervorrufen
Copyright: Markus Pfenninger
Cadmium wird zur Produktion von Düngemitteln und Batterien eingesetzt und fällt im Umweltmonitoring negativ durch Gewässerbelastung auf. Forschende des Senckenberg Biodiversität und Klima Forschungszentrums und des LOEWE-Zentrums für Translationale Biodiversitätsgenomik (TBG) haben nun geprüft, ob der Stoff in einer als ökologisch realistisch eingestuften, Konzentration in mehrzelligen Organismen Keimbahn-Mutationen verursacht. Solche Veränderungen im genetischen Material von Zellen haben langfristige Folgen mit großer Reichweite, denn sie werden an nachfolgende Generationen vererbt. Im Gegensatz dazu betreffen giftig wirkende Konzentrationen von Substanzen primär den einzelnen Organismus, der dem Stoff ausgesetzt ist.
Als Stellvertreter für mehrzellige Organismen wurden Zuckmücken der Art Chironomus riparius über mehrere Generationen einer niedrigen, aber umweltrelevanten Cadmium-Konzentration ausgesetzt. „Überraschenderweise zeigt unsere Analyse, dass die gewählte Cadmium-Konzentration keine Keimbahn-Mutationen bei Zuckmücken verursacht. Das steht so ziemlich genau im Gegensatz zu dem, was bishervermutet wurde. In den gültigen Regularien gilt diese Cadmium-Konzentration als mutagen“, konstatiert Dr. Halina Binde Doria, Leiterin der Studie am LOEWE-Zentrums TBG.
Umweltverträglichkeitstests sind vor der Zulassung von Substanzen vorgeschrieben und testen auch deren Potenzial, Mutationen hervorzurufen. Dieser Mutagenitäts-Test wird allerdings nur an Bakterien oder im Labor generierten Zellkulturen durchgeführt. „Ein großer Teil der Biodiversität besteht aber aus mehrzelligen Organismen, deren Komplexität diese Tests nicht gerecht werden. Beispielsweise besitzen die Zellen von Mehrzellern andere Reparaturmechanismen. Schadstoffe haben daher andere Ansatzpunkte. Unsere Studie zeigt, dass die heutigen Mutagenitäts-Tests unzuverlässig sind“, so Prof. Markus Pfenninger, Senckenberg Biodiversität und Klima Forschungszentrum und LOEWE-Zentrum TBG.
Ein neuer Test, den Doria und Pfenninger an den Zuckmücken demonstriert haben, soll dieses Problem lösen, da er das gesamte Erbgut mehrzelliger Organismen in den Fokus nimmt. „Wir arbeiten mit Insekten, da sie 90 Prozent aller Tierarten ausmachen. Mittels einer von uns entwickelten Methode werden dann in kurzer Zeit viele Generationen gezüchtet und den Substanzen ausgesetzt“, so Doria. Darüber hinaus haben die Forscher die bioinformatische Auswertung weiterentwickelt und eine Pipeline, das heißt eine Reihenfolge nacheinander geschalteter Such-Protokolle, zusammengestellt, die Keimbahn-Mutationen im Erbgut mehrzelliger Organismen zuverlässig aufspürt.
Jedes Jahr werden in der Europäischen Union etwa 50.000 bis 100.000 chemische Substanzen registriert, die, wenn überhaupt, nur den bisherigen Mutagenitäts-Test durchlaufen. „Wenn wir weiter so vorgehen wie bisher, bringen wir Substanzen in die Umwelt ein, deren ökologische Auswirkungen nicht hinreichend erfasst werden. Langfristig wollen wir daher unseren Test als neuen Standard etablieren, sodass das Gefahrenpotential neuer Umwelt-Chemikalien umfassend, zuverlässig und wirtschaftlich eingeschätzt werden kann und Konzentrationen genehmigt werden, die in der Natur bei allen Organismen – ob einzellig oder mehrzellig – weder giftig noch mutagen wirken“, sagt Pfenninger. Der Test folgt damit dem Anspruch des LOEWE-Zentrums TBG, Ergebnisse der genomischen Erforschung der biologischen Vielfalt in Anwendungen zu überführen, die der Gesellschaft nutzen.