Ein Baukasten für die Mikrobiomforschung
Forscher legen ein Fadenwurm-Modellsystem als Grundlage für eine umfassende Mikrobiomforschung vor
© Dr. Philipp Dirksen
© Antje Thomas, Prof. Hinrich Schulenburg
Ein Forschungsteam von der Christian-Albrechts-Universität zu Kiel (CAU) schlägt nun gemeinsam mit internationalen Experten unter anderem von der University of California in Berkeley und dem Baylor College of Medicine in Houston ein neuartiges, verbessertes Modellsystem für die Mikrobiomforschung vor, die sogenannte ‚Caenorhabditis elegans Mikrobiom-Ressource’ (CeMbio). Es basiert auf einer methodisch handhabbaren, aber dennoch naturnahen Zusammensetzung eines Fadenwurm-Mikrobioms. Künftig soll es realistischere Mikrobiomuntersuchungen in einer Vielzahl von Forschungsfeldern erlauben und zugleich die Vorzüge des in der Biologie häufig genutzten Fadenwurms C. elegans als Modellorganismus für die Mikrobiomforschung demonstrieren. Das CAU-Forschungsteam aus der Arbeitsgruppe Evolutionsökologie und Genetik unter Leitung von Professor Hinrich Schulenburg wie auch der Arbeitsgruppe Medizinische Systembiologie von Professor Christoph Kaleta stellte die Grundzüge dieses neuen Modellsystems kürzlich in der Fachzeitschrift G3: Genes Genomes Genetics vor.
Ein naturnahes Fadenwurm-Mikrobiom
Ausgangspunkt für das CeMbio-Projekt war eine Vorgängerarbeit der Kieler Forscher, in der sie erstmals die natürliche Bakterienbesiedlung des sonst zumeist unter keimfreien Bedingungen untersuchten Fadenwurms C. elegans bestimmten. So gelang es ihnen, die Auswirkungen des natürlichen Mikrobioms auf Lebensfunktionen und Fitness des Wurms zu untersuchen. Die damals in ihrer Gesamtheit identifizierten Bestandteile des Fadenwurm-Mikrobioms grenzten sie nun auf zwölf charakteristische einzelne Bakterienarten ein, die gewissermaßen jederzeit in allen Würmern zu finden sind. Mit ihnen führten die Wissenschaftler verschiedene Besiedlungs-Experimente im Darm des Wurms durch. „Diese Bakterien haben wir einzeln in Reinkultur und in Mischkulturen in keimfreie Würmer übertragen und anschließend ihr Wachstum beobachtet“, sagt Erstautor Dr. Philipp Dirksen, ehemaliger wissenschaftlicher Mitarbeiter in Schulenburgs Gruppe. „Auf diese Weise konnten wir beobachten, wie sich die Fähigkeit einzelner Bakterien zur Ansiedlung und die Beziehung der verschiedenen Bakterien zueinander in der natürlichen Wirtsumgebung verhalten“, so Dirksen weiter.
In einem zweiten Teil der Arbeit rekonstruierten die Wissenschaftler anhand der genetischen Signaturen aller im Mikrobiom vorhandenen Organismen, welche metabolischen Netzwerke darin vorhanden sind. Sie konnten also mittels bioinformatischer Methoden vorhersagen, welche potenziellen Kreisläufe von Stoffwechselprodukten möglicherweise zwischen Wirt und Mikrobiom existieren. Insgesamt schufen sie so die Grundlagen, um ein realitätsnahes Mikrobiom-Modell zur detaillierten Erforschung von Wirts-Bakterienbeziehungen in C. elegans zu schaffen.
Ein Open Source Mikrobiom-Modell
Mit dem CeMbio-Modell wollen die Kieler Forscher eine für Kollegen in der C. elegans-Forschung weltweit öffentlich zugängliche Ressource schaffen. Neben den unter Laborbedingungen leicht zu kultivierenden Bakterienstämmen gehören dazu auch deren vollständig entschlüsselte Erbinformationen sowie die vollständigen Modellierungen der metabolischen Netzwerke innerhalb ihres Mikrobioms. Damit steht der internationalen Forschungsgemeinschaft ein neuartiger Baukasten zur Verfügung, mit dem sich beispielsweise vom Wachstum bis zur Entwicklung zahlreiche Aspekte der Fadenwurm-Biologie im Zusammenhang der Interaktionen mit seinem natürlichen Mikrobiom untersuchen lassen. „Mit unserem CeMbio-Modell wollen wir die Tür zu einem breiten Spektrum von interessanten Forschungsfragen von der Krankheitsentstehung über die Biologie des Alterns bis hin zu neurobiologischen Aspekten aufstoßen“, betont der Kieler Evolutionsbiologe Schulenburg, Leiter des Kiel Evolution Center (KEC) an der CAU. „Die Möglichkeit, die damit verbundenen Prozesse im Zusammenspiel des natürlichen Mikrobioms zu erforschen, bietet dabei völlig neue Perspektiven für das Verständnis der zugrundeliegenden Mechanismen“, so Schulenburg weiter.
Zusätzlich, so hoffen die Kieler Forscher, helfe das neue Werkzeug auch dabei, C. elegans stärker als bisher als Modellsystem für die Mikrobiomforschung zu etablieren. Insgesamt steht Wissenschaftlern weltweit mit CeMbio eine neuartige Ressource zur Verfügung, um ihre Arbeit künftig nach ökologischen und evolutionären Kriterien realitätsnäher zu gestalten. Damit liefert die Arbeit einen wichtigen Beitrag, um insgesamt das Verständnis der Mechanismen zu verbessern, mit denen das Mikrobiom Gesundheit und Krankheit seines Wirtslebewesens beeinflusst, so wie dies mehrere Kieler Forschungsverbünden verfolgen, zum Beispiel der Sonderforschungsbereich 1182 „Entstehen und Funktionieren von Metaorganismen“ oder der Exzellenzcluster „Precision Medicine in Chronic Inflammation“ (PMI).