Welche Rolle spielen Archaeen im menschlichen Mikrobiom?

Internationales Forschungsteam beschreibt erstmals systematisch die Beteiligung dieser besonderen Mikroben am Zusammenspiel des Körpers mit seinen symbiotischen Mikroorganismen

12.08.2020 - Deutschland

Alle mehrzelligen Lebewesen tragen eine unvorstellbar große Anzahl von Mikroorganismen in und auf ihren Körpern. Das Mikrobiom, also die Gesamtheit dieser Mikroorganismen, bildet zusammen mit dem Wirtslebewesen eine Einheit, den sogenannten Metaorganismus. Dieser hat sich Laufe der Evolution im gegenseitigen Austausch seiner Bestandteile entwickelt. Das Zusammenspiel von Körper und symbiotischen Mikroorganismen ist von zentraler Bedeutung für das gesunde Funktionieren dieses Metaorganismus. Von der Unterstützung der Nährstoffaufnahme bis hin zum Schutz vor Krankheitserregern übernimmt das Mikrobiom lebenswichtige Aufgaben für das Wirtslebewesen. Andererseits können Störungen des Mikrobioms verschiedene schwerwiegende Krankheiten verursachen, beim Menschen zum Beispiel Diabetes, Adipositas oder chronische Entzündungskrankheiten. Forscher weltweit untersuchen daher seit einigen Jahren intensiv die hochkomplexen Interaktionen von Wirtslebewesen und Mikroorganismen und deren Beteiligung an zentralen Lebensprozessen. Eine bestimmte Gruppe der Mikroorganismen wurde dabei bisher wenig beachtet: Die Archaeen, früher auch als Archaebakterien oder Urbakterien bezeichnet. Genau wie die übrigen Bestandteile des Mikrobioms sind vermutlich jedoch auch Archaeen an der Aufrechterhaltung von Gesundheit und Fitness des Wirtes beteiligt.

Ein internationales Forschungsteam unter Beteiligung der Christian-Albrechts-Universität zu Kiel (CAU), der Medizinischen Universität Graz, des Pariser Instituts Pasteur und der Universität Clermont-Auvergne hat nun eine Bestandsaufnahme der Rolle der Archaeen bei den Interaktionen von Wirtslebewesen und Mikroorganismen vorgelegt. Die Wissenschaftler kommen zu dem Schluss, dass bestimmte Gruppen der Archaeen dazu prädestiniert sind, eine enge Vergesellschaftung mit anderen Mikroorganismen und dem Wirt im Zusammenhang des Metaorganismus einzugehen. Ihre Bestandsaufnahme veröffentlichten die Forscher, darunter Ruth Schmitz-Streit, Professorin am Institut für Allgemeine Mikrobiologie an der CAU, kürzlich in der Fachzeitschrift Nature Reviews Microbiology

© Stefan Kolbe

Eine Wissenschaftlerin im Labor CAU-Professorin Ruth Schmitz-Streit legte gemeinsam mit internationalen Kolleginnen und Kollegen eine Bestandsaufnahme der Rolle der Archaeen bei den Interaktionen von Wirtslebewesen und Mikroorganismen vor.

Archaeen finden im Wirtslebewesen spezielle Nischen vor

Zahlreiche verschiedene Mikroorganismen spielen durch ihre Interaktionen mit ihrem Wirtsorganismus eine wichtige Rolle für die Gesundheit und Fitness des Gesamtorganismus, auch im menschlichen Körper. Die Fähigkeit, in eine funktionelle Kommunikation mit dem Wirt einzutreten, zeichnet dabei auch die Archaeen aus. Sie sind grundsätzlich für ihre Vielzahl besonderer Eigenschaft bekannt. Vertreter dieser Mikroorganismengruppe können beispielsweise auch als sogenannte Extremophile unter außergewöhnlichen Lebensbedingungen existieren, etwa unter sehr hohen Temperaturen, starken Salzkonzentrationen oder in säurehaltigen Umgebungen. „Archaeen haben verschiedene Anpassungsstrategien an extreme Bedingungen entwickelt. Dazu zählt auch die Fähigkeit, bei einem dauerhaft niedrigen Energieangebot zu leben. Viele Archaeen existieren im Bereich eines gerade noch möglichen Energieminimums. Dies lässt sie für das Zusammenspiel mit anderen Mikroorganismen und dem Wirtslebewesen als besonders geeignet erscheinen. Daher wollen wir bei der Erforschung der Wirts-Mikroben-Beziehungen künftig die Beteiligung der Archaeen stärker beleuchten“, betont Mikrobiologin Schmitz-Streit, die im Kieler Sonderforschungsbereich (SFB) 1182 ‘Entstehen und Funktionieren von Metaorganismen' zwei Projekte leitet.

Zusätzlich zur Bestandsaufnahme der mit Tieren und Pflanzen assoziierten Archaeen nahmen die Forschenden in ihrer Arbeit neben den im menschlichen Hautmikrobiom vorkommenden sogenannten Thaumarchaeota vor allem eine ganz bestimmte Gruppe von Archaeen in den Fokus: Die methanbildenden Arten. Sie kommen bevorzugt in sauerstoffarmen Umgebungen wie etwa dem menschlichen Darm vor und unterstützen dort lebende Bakterien in ihrer Stoffwechselaktivität substanziell und machen zum Beispiel deren Umsetzungen noch effizienter. Dabei entsteht als Endprodukt Methan. Wie umfangreich diese Prozesse sind, zeigt sich zum Beispiel daran, dass ein Mensch im Durchschnitt etwa einen Drittelliter Methangas pro Tag produziert und das Gas bei rund 20 Prozent der Bevölkerung sogar im Atem nachweisbar ist.

Sind Archaeen an der Entstehung von Krankheiten beteiligt?

Abgesehen von ihrem Anteil an Stoffwechselprozessen diskutierten die Forscher zudem, in welcher Weise Archaeen an der Krankheitsentstehung beteiligt sein könnten. Bisher ist jedoch noch kein pathogenes Archaeon nachgewiesen worden. „Allerdings ist zum Beispiel seit Kurzem eine aktive Interaktion von Methanobrevibacter smithii und Methanosphaera stadtmanae mit dem menschlichen Mikrobiom nachweisbar. Das Immunsystem des Menschen kann sie erkennen und auf sie reagieren“, betont Ruth Schmitz-Streit. „Diese beiden häufigsten Archaeen des menschlichen Darmtrakts haben sich also im Laufe der Evolution also aktiv an das menschliche Ökosystem angepasst“, betont Christiane Moissl-Eichinger, Professorin für Interaktive Mikrobiomforschung an der Medizinischen Universität Graz. Die von den Archaeen verursachte Aktivierung des Immunsystems zeigt sich zum Beispiel in der Ausschüttung von entzündungsfördernden Signal-Proteinen, sogenannten Cytokinen. Diese Reaktionen unterscheiden sich bei den beiden Archaeen-Arten in ihrer Intensität. Methanobrevibacter smithii und Methanosphaera stadtmanae kommen zudem in Abhängigkeit vom Gesundheitszustand in ganz unterschiedlicher Anzahl vor, was zumindest einen Zusammenhang ihrer Häufigkeit mit der menschlichen Gesundheit und der Entwicklung von Krankheiten nahelegt.

Diskutiert wird einerseits, ob sich eine frühe Exposition von Kindern gegenüber Archaeen positiv bezüglich des Asthmarisikos auswirkt. Manche Archaeen könnten zudem eine  gesundheitsfördernde Wirkung durch den Abbau der sogenannten Trimethylamine (TMA) zeigen - toxische Schlüsselmoleküle, die unter anderem Arteriosklerose verursachen können. So sind bereits erste auf der Anwendung von TMA-abbauenden Methanomassiliicoccales basierende therapeutische Ansätze als sogenannte ‘archaebiotics‘ in der klinischen Prüfung. Andererseits vermuten Forscher, dass eine erhöhte Anzahl von methanbildenden Archaeen mit einer Reihe von schwerwiegenden Krankheitsbildern in Verbindung stehen könnte, zum Beispiel Darmkrebs oder entzündliche Darmerkrankungen. Die Autoren der aktuellen Studie nehmen allerdings an, dass die Archaeen hier nicht ursächlich an der Krankheitsentstehung beteiligt seien. Möglicherweise liege ihre Rolle aber in einer Unterstützung der Aktivität von pathogenen Bakterien, etwa durch den Abbau von hemmenden Stoffwechselprodukten.

In künftigen Forschungsarbeiten wollen die Forscher eine möglicherweise auch ursächliche Beteiligung der Archaeen an der Krankheitsentstehung und insbesondere die medizinische Bedeutung des von ihnen produzierten Methans erforschen. Zudem planen sie, bisherige methodische Schwierigkeiten bei der Kultivierung und dem molekularem Nachweis dieser Mikroorganismen auszuräumen. Das noch junge Forschungsgebiet eröffnet also eine Vielzahl neuartiger Fragen: Die Wissenschaftler wollen künftig beispielsweise bestimmte spezifische Anpassungen der Archaeen an ihren Wirtsorganismus oder ihr Wechselspiel mit bakteriellen Bestandteilen des menschlichen Mikrobioms genauer untersuchen und so Stück für Stück ihren Anteil an Balance oder Störung des Metaorganismus besser verstehen lernen.

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