RWTH-Wissenschaftler prüfen Knorpelersatzmaterial

Forschergruppe am Institut für Allgemeine Mechanik entwickelt Bioreaktoren für interdisziplinäres Projekt

21.04.2010 - Deutschland

Welche Eigenschaften hat menschliches Knorpelgewebe? Eine auf den ersten Blick rein medizinische Fragestellung beschäftigt zurzeit Wissenschaftler des Instituts für Allgemeine Mechanik der RWTH Aachen. Innerhalb eines interdisziplinären Forschungsprojektes entwickelt eine Arbeitsgruppe unter Leitung von Privatdozent Dr.-Ing. Marcus Stoffel dort Bioreaktoren, in denen Knorpelersatzmaterial mechanisch stimuliert wird.

Menschliches Knorpelgewebe kann bei einem Unfall beschädigt werden. Es besitzt jedoch wichtige Funktionen für die alltägliche Bewegungsfähigkeit. "Knorpeldefekte in Gelenken durch Ersatzmaterialien zu beheben ist daher ein ständig akutes und aktuelles Problem in der Medizin", so Dr.-Ing. Marcus Stoffel. Derartige Materialien müssen sowohl mechanische Lasten übertragen als auch gute Dämpfungseigenschaften besitzen. Deshalb betrifft dieses Thema Mediziner, Biologen und Ingenieure gleichermaßen.

Das Forschungsteam arbeitet in einem Netzwerk zusammen mit orthopädischen Kliniken und Industriepartnern daran, optimales Knorpelersatzgewebe zu finden. Gewonnen wird das Material zunächst aus dem so genannten Typ 1-Collagen, das Rattenschwänzen entnommen ist. Anschließend wird es mit menschlichen Knorpelzellen besiedelt. "Spannend ist, dass dieses künstlich hergestellte Material, wenn es mit lebenden Zellen besiedelt wird, unter mechanischen Wechsellasten gewünschte mechanische Eigenschaften antrainiert bekommt", erklärt Stoffel. Eigenschaften, die das Gewebe für die Bewegungs- und Belastungsfähigkeit beispielsweise bei Stößen oder Sprüngen im menschlichen Körper benötigt. Der Effekt ist vergleichbar mit Muskelgewebe, das unter konstantem Training wächst, mit dem Unterschied, dass der Knorpel nicht durchblutet wird, sondern durch osmotische Prozesse genährt wird.

Um diesen Trainingseffekt des Knorpelersatzmaterials untersuchen zu können, haben die Mitarbeiter des Instituts für allgemeine Mechanik Bioreaktoren entwickelt, in denen das mit menschlichen Zellen besiedelte Material sowohl in einer Nährflüssigkeit kultiviert als auch mechanisch stimuliert wird. Zyklische Druckbelastungen werden mit einem Stempel auf Materialproben übertragen, die am Boden eines zylindrischen Gefäßes gelagert werden. Innerhalb der meist zweiwöchigen Versuchsreihen, in Kooperation mit dem Lehrstuhl für Orthopädie des Universitätsklinikums Aachen, muss das Material rund 400.000 Belastungszyklen entweder durch Druck oder Zug durchlaufen. Da die Versuche unter sterilen Bedingungen stattfinden müssen, werden die Proben mit den menschlichen Knorpelzellen nach außen isoliert und mit einer Nährflüssigkeit sowie Gasaustausch versorgt. Anschließend werden die mechanischen Eigenschaften der Proben getestet und biologisch sowie histologisch ausgewertet; die neu entwickelte Faserbildung kann untersucht werden. Darüber hinaus wird die Reaktion des kultivierten Materials mit und ohne mechanische Stimulation bewertet.

Aufgabe der Mitarbeiter des Instituts für Allgemeine Mechanik ist es außerdem, aus den Beobachtungen des Materials im Bioreaktor Gesetze zu entwickeln. Diese werden auf Computermodelle übertragen, um sämtliche beliebige Belastungsszenarien simulieren und die Anwendung im Prüfstand anhand von Computermodellen verifizieren zu können. So soll ein feststehendes Verfahren entwickelt werden, das Prognosen über das Langzeitverhalten des Materials stellen kann.

Zurzeit entwickeln die Mechaniker einen Bioreaktor, der gleichzeitig mehrere Materialproben stimulieren kann. Demnächst soll ein Bioreaktor die Funktion eines "Kniegelenksimulators" übernehmen, um die komplizierte physiologische Belastung des menschlichen Knies unter möglichst realen Bedingungen wiederzugeben. "Wir haben die Hoffnung, dieses Ziel innerhalb des nächsten Jahres umzusetzen", so Marcus Stoffel. Gefördert wird das interdisziplinäre Forschungsprojekt von der Deutschen Forschungsgemeinschaft (DFG), vom Bundesministerium für Bildung und Forschung (BMBF) sowie von der Deutschen Gesellschaft für Orthopädie und Orthopädische Chirurgie (DGOOC). Ziel ist die Optimierung des Knorpelersatzmaterials, damit es in einigen Jahren in menschlichen Gelenken zum Einsatz kommen kann.

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