Pflanzen-Wirkstoff bremst aggressiven Augenkrebs

Forscher testen eine Substanz aus den Blättern der Korallenbeere

22.03.2019 - Deutschland

Ein schon seit 30 Jahren bekannter Wirkstoff könnte sich unerwarteter Weise als Hoffnungsträger gegen Augentumoren entpuppen. Das zeigt eine Studie, die Forscher der Universitäten Bonn und Magdeburg zusammen mit US-Kollegen durchgeführt haben. Die Pflanze, aus deren Blättern die getestete Substanz stammt, ist übrigens alles andere als selten: Zur Weihnachtszeit findet man sie in jedem gut sortierten Gartencenter.

Volker Lannert/Uni Bonn

Mit Korallenbeere: das Forscherinnenteam um Prof. Evi Kostenis (Mitte), Prof. Dr. Gabriele M. König (links) und Suvi Annala (rechts) am Institut für Pharmazeutische Biologie der Universität Bonn

Die Korallenbeere schmückt in den Wintermonaten so manches bundesdeutsche Wohnzimmer. Sie bildet zu dieser Zeit leuchtend rote Früchte, die sie zu einer beliebten Zierpflanze machen. Gegen Insektenfraß ist das ursprünglich aus Korea stammende Gewächs erstaunlich resistent: In seinen Blättern beherbergt es Bakterien, die ein natürliches Insektizid produzieren – ein Gift mit dem kryptischen Namen FR900359, abgekürzt FR.

Dieses Toxin könnte bald noch an ganz anderer Stelle Karriere machen: als mögliches Medikament gegen das Aderhaut-Melanom, die häufigste und aggressivste Variante des Augenkrebses. FR ist schon seit einiger Zeit im Fokus der Pharmaforschung: „Die Substanz hemmt in den Zellen eine wichtige Gruppe von Molekülen, die Gq-Proteine“, erklärt Prof. Dr. Evi Kostenis vom Institut für Pharmazeutische Biologie der Universität Bonn.

Gq-Proteine übernehmen in der Zelle eine ähnliche Funktion wie die Notruf-Zentrale einer Stadt: Wenn an der Leitstelle ein Anruf eingeht, informiert sie je nach Bedarf Polizei, Rettungswagen und Feuerwehr. Gq-Proteine lassen sich dagegen durch bestimmte Steuersignale aktivieren. In ihrer aktivierten Form schalten sie dann ihrerseits verschiedene Stoffwechselwege an oder aus. Die Zelle soll aber ihr Verhalten nicht dauerhaft ändern. Daher inaktivieren sich die Gq-Proteine nach kurzer Zeit von selbst.

Beim Aderhaut-Melanom verhindert jedoch eine winzige Mutation, dass zwei wichtige Gq-Proteine wieder in ihren inaktiven Zustand übergehen. Sie bleiben daher dauerhaft aktiv – das ist etwa so, als würde die Leitstelle ständig Einsatzfahrzeuge zum Brandherd schicken, obwohl das Feuer bereits seit Tagen gelöscht ist. Durch diese Fehlsteuerung beginnt sich die Zelle unkontrolliert zu teilen.

„FR kann diese Teilungsaktivität unterbinden“, sagt Kostenis. „Das ist etwas, womit niemand gerechnet hätte.“ Denn es ist zwar seit einiger Zeit bekannt, dass FR die Aktivierung von Gq-Proteinen verhindern kann. Dazu „umklammert“ der Wirkstoff die Proteine und sorgt so dafür, dass sie in ihrer inaktiven Form verbleiben. Bereits aktivierte Gq-Proteine lässt FR dagegen links liegen, so die gängige Lehrmeinung. „Daher schien es unmöglich, dass die Substanz bei mutierten und damit dauerhaft aktiven Gq-Proteinen wirkt“, betont Dr. Evelyn Gaffal.

Protein im Schwitzkasten

Gaffal ist kürzlich aus Bonn an die Universität Magdeburg gewechselt. Dort erforscht sie unter anderem Strategien zur Bekämpfung von Hautkrebs. „Wir haben in unseren Experimenten auch FR eingesetzt und waren überrascht, dass es die Vermehrung der Krebszellen unterdrückt“, sagt sie. Inzwischen wissen die Wissenschaftler auch, warum das so ist: Auch die mutierten Gq-Proteine scheinen hin und wieder in ihre inaktive Form überzugehen. Sobald das passiert, greift FR900359 zu und nimmt das Molekül in den Schwitzkasten. Mit der Zeit werden so sukzessive immer mehr Gq-Proteine dauerhaft aus dem Verkehr gezogen.

In Zellkulturen und in Versuchen mit krebskranken Mäusen hat FR seine Wirksamkeit bereits bewiesen. Bevor an einen Einsatz im Menschen zu denken ist, sind aber noch einige Hürden zu nehmen. Vor allem muss die Substanz zielgenau zu den Tumorzellen gelangen, ohne andere Gewebe zu treffen. „Gq-Proteine übernehmen praktisch überall im Körper lebenswichtige Funktionen“, erklärt Prof. Kostenis. „Wenn wir wollen, dass FR nur die Tumorzellen tötet, müssen wir den Wirkstoff genau dort hinbringen. Das ist aber eine Herausforderung, mit der viele andere Chemotherapien auch zu kämpfen haben.“

Erstmals isoliert wurde FR übrigens bereits vor gut 30 Jahren von japanischen Forschern. Erst 25 Jahre später wurde seine biologische Wirkungsweise beschrieben, und zwar an der Universität Bonn: von den Arbeitsgruppen um die Professorinnen Gabriele M. König und Evi Kostenis am Institut für Pharmazeutische Biologie. Diese Arbeit bildet inzwischen die Basis für eine Forschungsgruppe der Deutschen Forschungsgemeinschaft (DFG) zur Gruppe der G-Proteine und der Möglichkeit, sie pharmakologisch zu beeinflussen.

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