Den Tumor schachmatt setzen

30.11.2018 - Deutschland

Das Schachspiel und Krebsforschung haben eine Sache gemeinsam: Man muss strategisch vorgehen, um den Gegner zu besiegen. Genauso handhaben es auch Wissenschaftler des Max-Delbrück-Centrums für Molekulare Medizin in der Helmholtz-Gemeinschaft (MDC). Sie wollen Krebszellen, die der Chemotherapie entgehen würden, gezielt aggressiv machen – und dann in eine Falle locken.

Michela Serresi, MDC

Mikroskopisches Bild von Tumorzellen, in denen die Aktivität von Ezh2 gehemmt wurde (rot), im Gewebe der Lunge einer Maus und umgeben von Immunzellen (grün)

Bei einer Chemotherapie hindern Zytostatika Krebszellen an der Vermehrung und bringen sie zum Absterben. Diese Herangehensweise führt in vielen Fällen zum Erfolg, bringt jedoch Nachteile mit sich. Da gesunde Körperzellen ebenfalls in Mitleidenschaft gezogen werden, leiden die Patienten zum Teil unter erheblichen Nebenwirkungen. Außerdem entkommen bei besonders aggressiven Tumoren meist einige Zellen der Therapie. „Diese verbleibenden Krebszellen sind besonders gefährlich, weil sie derart verändert sind, dass Ärzte oft nicht mehr genau wissen, mit welcher Art von Krebszellen sie es zu tun haben“, erklärt Dr. Gaetano Gargiulo, Leiter der Arbeitsgruppe „Molekulare Onkologie“ am MDC. Das macht es schwierig, geeignete Substanzen für die weitere Behandlung auszuwählen.

Auf den nächsten Zug des Gegners vorbereitet sein

Auch bei einer bestimmten Form des nicht-kleinzelligen Lungenkarzinoms resultiert die Chemotherapie häufig in veränderten Krebszellen, die sich kaum noch behandeln lassen. Wer neue Therapien entwickelt, muss diese Entwicklung im Auge behalten. „Genau wie gute Schachspieler müssen wir dem Krebs immer einige Züge voraus sein, statt auf eine bestehende Situation zu reagieren“, sagt Gargiulo. Wie das funktionieren kann, hat er gemeinsam mit seinem Team sowie Kollegen um Professor Maarten van Lohuizen vom Niederländischen Krebsinstitut in Amsterdam, bei Mäusen erprobt, denen sie zuvor Zellen einer speziellen Form des nicht-kleinzelligen Lungenkarzinoms übertragen hatten.

Bei dieser Form des nicht-kleinzelligen Lungenkarzinoms produzieren die Krebszellen ein Enzym namens Ezh2 in größeren Mengen. Das Enzym unterdrückt eine Reihe von Tumorsuppressor-Genen. Sie sollen die Zellen eigentlich daran hindern, sich unkontrolliert zu vermehren. Wirkstoffe, die dieses Enzym hemmen und so die Tumorsuppressor-Gene wieder aktivieren, werden derzeit in klinischen Studien getestet. „Bei unseren Mäusen funktionierte dieser Wirkstoff zunächst wie erwartet, unterdrückte die Vermehrung der Tumorzellen und hielt den Krebs so in Schach“, sagt Dr. Michela Serresi, Erstautorin der Veröffentlichung und Leiterin ihres eigenen Teams in der Arbeitsgruppe von Gargiulo.

Erwartet hatten die Wissenschaftler aber auch, dass die Substanz mit der Zeit ihre Wirkung verlieren würde. „Interessanterweise entstand dabei immer eine Entzündungssituation, die den Tumor nun wiederum in seinem Wachstum unterstützt“, sagt Serresi. Als Ergebnis der Behandlung waren die verbliebenen Krebszellen also noch aggressiver geworden.

Krebszellen aggressiv machen – und dann Schachmatt setzen

An genau dieser Stelle setzen die MDC-Forscher an. Sie schicken die Tumorzellen gezielt auf diesen Weg – und lassen sie in die Falle laufen. „Einmal resistent gegen den Ezh2-Hemmstoff sind die Zellen zwar sehr aggressiv, aber auch abhängig von der Entzündungssituation“, erklärt Gargiulo. „Wenn wir diese Entwicklung voraussehen, ähnlich wie geschickte Schachspieler die möglichen Züge ihres Gegners in Gedanken durchspielen, und sogar und gezielt forcieren, können wir auch gezielt dagegen ansteuern.“ Im zweiten Behandlungsschritt verabreichten die Wissenschaftler den Tieren daher eine entzündungshemmende Substanz. Sie setzten die Krebszellen Schachmatt.

Noch ist es allerdings ein langer Weg, bis diese neue Behandlungsstrategie Krebspatienten zu Gute kommt. „Wenn wir Krebszellen bewusst aggressiver machen, müssen wir ganz genau wissen, was wir tun “, sagt Gargiulo. So müsse man etwa nach Biomarkern fahnden, die eine eindeutige Vorhersage darüber erlauben, bei welchen Erkrankten diese Strategie wirklich funktioniert. „Erst wenn wir im Labor ausreichend Daten und Erfahrung gesammelt haben, dürfen wir überhaupt daran denken, diesen Behandlungsweg bei kranken Menschen zu erproben“, betont Gargiulo.

Originalveröffentlichung

Weitere News aus dem Ressort Wissenschaft

Meistgelesene News

Weitere News von unseren anderen Portalen

So nah, da werden
selbst Moleküle rot...