Schlaf als Anti-Aging-Programm?
Hungernde Fadenwürmer schützen ihre Zellen vor Alterung, indem sie schlafen
© Yin Wu, Henrik Bringmann / Max-Planck-Institut für biophysikalische Chemie
Der Schlaf ist alt, sehr alt. Vermutlich ist er vor über 500 Millionen Jahren entstanden, als die ersten Tiere ein Nervensystem entwickelten. Im Tierreich ist er entsprechend weit verbreitet – Säugetiere schlafen ebenso wie Fische und sogar Quallen. Schlaf scheint also eine unverzichtbare Funktion zu erfüllen.
Wir Menschen müssen schlafen, damit unser hochkomplexes Gehirn Erfahrungen und Gelerntes verarbeiten und sich regenerieren kann. Schlafentzug kann für uns tödlich enden. Aber wieso schlafen selbst vergleichsweise primitive Tiere, die nur über ein paar Hundert Nervenzellen verfügen? Und unter welchen Bedingungen ist Schlaf überlebenswichtig? Diese Fragen wollte der Biologe Henrik Bringmann mit seiner Max-Planck-Forschungsgruppe Schlaf und Wachsein am MPI für biophysikalische Chemie beantworten. Für ihre Untersuchungen nutzten die Wissenschaftler den Fadenwurm C.elegans als Modellorganismus. Der etwa ein Millimeter lange Wurm besitzt lediglich 302 Nervenzellen und durchläuft in seiner Entwicklung vier Larvenstadien mit wiederholten Schlafphasen. Er ist somit bestens geeignet, um grundlegende Eigenschaften von Schlaf zu erforschen.
„Wie wir herausgefunden haben, sind die Larven von C.elegans auf Schlaf angewiesen, um Hungerphasen zu überleben“, fasst Bringmann die Ergebnisse zusammen. „Dabei schlafen die Würmer offenbar nicht nur, um Energie zu sparen, sondern auch, um schädliche Alterungsprozesse aufzuhalten. Der Schlaf stellt für den Wurm unter diesen Bedingungen also eine Art Anti-Aging-Strategie dar.“
Die Göttinger Wissenschaftler hatten zunächst analysiert, inwiefern C.elegans überhaupt schlafen muss. Während Schlafentzug bei erwachsenen Würmern keine Auswirkung auf ihre Lebensdauer habe, würden schlaflose Larven sterben, erläutert Yin Wu, Doktorandin in Bringmanns Forschungsgruppe. „Wir wollten wissen, warum da so ist.“
Weitere Experimente offenbarten, dass das Nahrungsangebot für die Larven wesentlich über deren Schlafmenge entscheidet: Je weniger Futter sie finden, desto mehr schlafen sie. Dieser Schlaf diene allerdings nicht ausschließlich dazu, Energie zu sparen, betont Florentin Masurat, ehemaliger Doktorand von Bringmann. Stattdessen legen die Ergebnisse der Forscher nahe, dass es – zumindest bei C.elegans – mindestens ebenso sehr darauf ankommt, die Körperzellen vor dem schädlichen Einfluss des Hungerns zu schützen: „Schlaflose Würmer sterben nämlich, weil ihre Zellen zugrunde gehen“, wie Bringmann erklärt. „Ihre Muskelfasern werden abgebaut und in den Zellen sammeln sich schädliche Proteine. Dieser Prozess ähnelt dem Altern und lässt sich durch Schlaf verlangsamen.“
Doch ist Schlaf nur für hungernde Würmer ein Jungbrunnen, oder lassen sich aus den Erkenntnissen von Bringmanns Team auch Schlüsse für komplexere Tiere ziehen? Schließlich müssen alle Organismen mit längeren Hungerperioden umgehen können und haben entsprechende Überlebensstrategien entwickelt. „Wir vermuten, dass die molekulare Verknüpfung von Hunger auf der einen und Alterung sowie Schlaf auf der anderen Seite schon früh in der Geschichte des Tierreichs entstanden ist“, so Bringmann. „Es ist daher durchaus möglich, dass Schlaf Alterungsprozesse auch beim Menschen beeinflusst.“