Timer für den Immunzelleinsatz
MFPL/Florian Ebner
Bei einer bakteriellen Infektion im Körper bildet ein bestimmter Typ von Blutzellen die schnelle Eingreiftruppe des Immunsystems. Die neutrophilen Granulozyten – oder kurz Neutrophilen – sind die häufigsten weißen Blutkörperchen und haben potente Gegenmittel an Bord. Weil diese Immunzellen so kräftig zupacken können, werden sie am Ort des Geschehens von der Immunregulation gut in Schach gehalten, denn bei der Immunantwort im Körper geht es neben Geschwindigkeit immer auch um Präzision und Dosierung. Überschießende Reaktionen werden tunlichst verhindert. „Es ist immer eine Gratwanderung“, betont Pavel Kovarik: „Die Immunantwort soll stark genug sein, um Keime aufzuhalten, aber rechtzeitig abgeschwächt werden, um das Gewebe vor aggressiven Abwehrmechanismen zu schützen.“ Mit einem Team an den Max F. Perutz Laboratories (MFPL), einer gemeinsamen Forschungs- und Lehreinrichtung der Universität Wien und der Medizinischen Universität Wien, untersucht der Immunbiologe diese feine Balance in verschiedenen biologischen Prozessen.
Zeitgeber des Zelltods
Zwecks Regulation werden aktivierte Neutrophile nach ein bis zwei Tagen gezielt durch den sogenannten programmierten Zelltod zum Absterben gebracht. Dieser Prozess ist bei Neutrophilen gut untersucht. Unklar war jedoch die Zeitgebung, das heißt jene Mechanismen, die entscheiden, wann die weißen Blutkörperchen absterben sollen. Durch einen Zufall entdeckte nun das Team der MFPL rund um Kovarik diesen zeitlichen Verlauf. Im Rahmen der Forschung sollte – unterstützt vom Wissenschaftsfonds FWF – die Funktion des entzündungshemmenden Proteins Tristetraprolin (TTP) in der Regulation der Immunantwort gegen bakterielle Infektionen untersucht werden. Überraschenderweise stellte sich heraus, dass in Versuchstieren, bei denen TTP in Neutrophilen genetisch entfernt worden war, die Lebensdauer der aktiven weißen Blutkörperchen verlängert war. So konnte TTP als Zeitgeber identifiziert werden.
Lebensverlängerung als Therapieansatz
„Zudem konnten wir beobachten, dass Mäuse ohne TTP in den Neutrophilen besser mit bakteriellen Gewebeinfektionen zurechtkamen. Wir hatten angenommen, dass bei dieser Gruppe Gewebeschäden überhand nehmen würden, weil ja der Zeitgeber für den Zelltod außer Kraft wurde. Die Lebensverlängerung der weißen Blutkörperchen schien sich aber positiv auszuwirken“, erläutert Projektleiter Pavel Kovarik. Dieser Befund war hoch relevant, weil der Erreger Streptococcus pyogenes im Gewebe verheerend wirken kann. Das Bakterium ist häufig und verursacht zumeist nur Halsweh. Bei wenigen hundert Menschen pro Jahr in Österreich führt S. pyogenes aber zu einer galoppierenden Gewebeinfektion (nektrotisierende Fasziitis), die oft tödlich verläuft.
Ab dem Moment stand die schlüssige Aufklärung dieses Mechanismus im Mittelpunkt: „Wir hatten angenommen, dass das Gewebe Schaden nehmen würde. Die aktivierten Neutrophilen bauen aber auch eine effektive Barriere, sodass Keime nicht in den restlichen Körper gelangen konnten“, beschreibt der Immunbiologe einen interessanten Ansatz zur Behandlung resistenter Bakterien. Mit weiteren Versuchsreihen und hinzugezogenem Know-how aus Österreich und dem internationalen Raum gelang schließlich der solide Nachweis des molekularen Mechanismus.
Originalveröffentlichung
Florian Ebner, Vitaly Sedlyarov, Saren Tasciyan, Masa Ivin, Franz Kratochvill, Nina Gratz, Lukas Kenner, Andreas Villunger, Michael Sixt, Pavel Kovarik: The RNA-binding protein tristetraprolin schedules apoptosis of pathogen-engaged neutrophils during bacterial infection, in: Journal of Clinical Investigation, 2017
M. Ivin , A. Dumigan , F. N. de Vasconcelos , F. Ebner, M. Borroni, A. Kavirayani, K. N. Przybyszewska, R. J. Ingram, S. Lienenklaus, U. Kalinke, D. Stoiber, J. A. Bengoechea, P. Kovarik: Natural killer cell-intrinsic type I IFN signaling controls Klebsiella pneumoniae growth during lung infection, in: PLOS Pathogens, 2017