Hormonzusatz hinterlässt Spuren

Hormonaktive Substanzen führen zu epigenetischen Veränderungen des Erbguts

04.07.2018 - Schweiz

Bei Schweinen führen hormonaktive Substanzen zu einer veränderten Genexpression, von der auch die nächste Generation betroffen ist. Das weist ein Team von Forscherinnen der ETH Zürich und der TU München nach. Die Befunde könnten auch auf Menschen übertragbar sein.

Malenka, pixabay.com, CC0

Eine Muttersau säugt ihren Nachwuchs: Erhält sie während der gesamten Tragezeit geringe Zusätze einer hormonaktiven Substanz, verändert sich die Aktivität gewisser Gene. Dies wird auch an die Ferkel übertragen.

In der öffentlichen Debatte sind hormonaktive Substanzen, also exogene, von aussen zugeführte Stoffe, die gleich oder ähnlich wirken wie körpereigene Hormone, seit längerem ein Thema. Chemikalien wie Bisphenol A oder Phtalate, die als Weichmacher in Kunststoffen eingesetzt werden, stehen möglicherweise in Zusammenhang mit der zunehmenden Unfruchtbarkeit von Männern und Frauen.

In einem Versuch mit Schweinen konnten Forscherinnen der ETH Zürich und der Technischen Universität München nun erstmals nachweisen, dass schon die Gabe von äusserst geringen Mengen eines hormonaktiven Stoffes – in diesem Fall ein körpereigenes Östrogen als Modellsubstanz – nicht nur zu epigenetischen Veränderungen des Erbguts von Muttersauen führen kann. Auch die zeitgleich betroffenen Embryonen trugen solche Veränderungen, die selbst bei erwachsenen Nachkommen noch nachweisbar waren.

Zeitfenster erhöhter Empfindlichkeit

«Hormonaktive Substanzen, insbesondere Östrogene, sind schon in sehr niedrigen Dosen äusserst wirksam», sagt Susanne Ulbrich, Professorin für Tierphysiologie an der ETH Zürich. Ob und wie stark körpereigene oder körperfremde Botenstoffe wirken, hängt deshalb auch vom Zeitfenster ab, in welchem sie auf den Körper wirken. «Empfindlich auf hormonelle Störeinflüsse von aussen reagiert der Körper beispielsweise im Embryonalstadium zu Beginn der Schwangerschaft.»

Ein solches Zeitfenster haben Ulbrich und ihre Mitarbeiter in einem Versuch an Mutterschweinen angeschaut: Die Wissenschaftlerinnen verabreichten den Muttertieren über das tägliche Futter unterschiedliche Dosierungen von 17-beta-Östradiol, einem natürlichen Östrogen, und simulierten damit die Aufnahme von hormonaktiven Substanzen über das Trinkwasser oder die Nahrung; und zwar entweder in der gesamten Trächtigkeit oder nur während der ersten zehn Tagen nach der Befruchtung.

Die tiefste Dosierung entsprach dem Äquivalent der für den Menschen erlaubten Tagesdosis (0,05 Mikrogramm pro Kilogramm Körpergewicht). Zusätzlich testeten die Wissenschaftler eine Dosis nahe dem «No observed effect level»- (täglich 10 Mikrogramm pro Kilogramm Körpergewicht) und eine Hochdosierung (1000 Mikrogramm pro Kilogramm und Tag) als Beispiel für die versehentliche Einnahme der kontrazeptiven Pille während des Beginns einer Schwangerschaft. Zum Vergleich untersuchten die Forscherinnen auch Tiere, denen sie kein Östradiol verabreichten.

Danach untersuchten sie die Genexpression sowie die epigenetischen Veränderungen in verschiedenen Geweben der Muttersauen sowie in der Nachfolgegeneration, sowohl in 10 Tage alten Embryonen (Blastozysten) und einjährigen erwachsenen weiblichen Nachkommen.

Genaktivitäten verändert

Die Wissenschaftlerinnen wurden fündig: Von 57 Genen, die mit Östradiol in Bezug stehen, veränderte Östradiol je nach Dosis gewebespezifisch die Expression von rund zwei Dutzend der untersuchten Genen. Diese gehören mehrheitlich zu solchen, die den Zellzyklus steuern oder das Wachstum von Tumoren unterdrücken. Am stärksten ausgeprägt waren diese Änderungen im Gelbkörper und in der Gebärmutterschleimhaut sowie in der Herz- und Skelettmuskulatur der Muttersauen.

Zudem stellten die Forscherinnen epigenetische Veränderungen an wenigen ausgewählten Genen des Lebergewebes der Sauen fest. Ähnliche Veränderungen an diesen Genen traten auch in den Embryonen auf und fanden sich im Erwachsenenalter: Selbst bei den weiblichen Jährlingen konnten die Forschenden feststellen, dass sich das epigenetische Muster dieser Gene verändert hatte.

Epigenetische Veränderungen entstehen beispielsweise durch das Zufügen oder Entfernen von kleinen chemischen Gruppen an bestimmten Stellen der DNA, zum Beispiel von sogenannten Methylgruppen. Dadurch kann sich die Expression der betroffenen Gene und damit die Zelle ihre Funktion verändern.

Dauerhafte Veränderungen

«Ernsthafte gesundheitliche Auswirkungen haben wir in den erwachsenen Nachkommen nicht gefunden, nur sehr leichte Veränderungen zum Beispiel der Knochendichte und dem Verhältnis von Fett zu Muskelmasse», erklärt Ulbrich. Welche langfristigen Auswirkungen die epigenetischen Veränderungen haben und ob ein Zusammenwirken vieler hormonaktiver Substanzen, denen der Mensch täglich ausgesetzt ist, die Situation verschärft, ist derzeit offen.

«Auch müsste dringend über mehrere Generationen langzeitbeobachtet werden», sagt die ETH-Professorin. «Epigenetische Veränderungen können in nur einer Generation entstehen, aber sie werden unter Umständen bleibend auf die Nachfolgegeneration übertragen. Wir können schon jetzt klar zeigen, dass Hormone bereits nach nur kurzer Expositionszeit und in sehr kleinen Mengen einen nachweisbaren Effekt haben.»

Die Expertin für Fortpflanzungsphysiologie fordert aufgrund der Resultate, die Mengen der erlaubten Tagesdosen respektive der «No observed effect level»-Dosis zu überdenken. Die hormonellen Änderungen der Schweine während der Trächtigkeit seien denjenigen des Menschen ziemlich ähnlich, weswegen die Resultate ihrer Studie gut auf ihn übertragbar seien, gegebenenfalls sogar aussagekräftiger als beispielsweise solche aus eine Studie mit Mäusen.

«Die derzeit aktuellen Empfehlungen respektive Grenzwerte liegen wahrscheinlich zu hoch», sagt die Forscherin. Die von ihnen gefundenen epigenetischen Veränderungen zeigten eindeutig an, dass eine Exposition mit einer hormonaktiven Substanz stattgefunden habe, und zwar schon in kleinsten Mengen. «Wie es genau zu den Veränderungen gekommen ist und was diese auf Dauer bewirken, muss künftig genauer erforscht werden. Die Empfindlichkeit des frühen Embryos darf auf keinen Fall unterschätzt werden.»

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