Wie Lebendimpfungen die Immunantwort stärken
Forschungsergebnisse weisen einen Weg zu optimierten Impfstoffen
FU Berlin, Kristina Dietert
Das Grundprinzip einer Impfung besteht darin, das Immunsystem des Körpers mit einem vorher unbekannten Krankheitserreger bekannt zu machen. Auf diese Weise trainiert, kann das Immunsystem später bei einer echten Infektion schnell und erfolgreich den Erreger bekämpfen und eine Erkrankung abwenden. Obwohl Lebendimpfstoffe schon seit 1798 erfolgreich eingesetzt werden, ist bisher wenig darüber bekannt, was sie so besonders effektiv macht. Dieser Thematik haben sich Prof. Dr. Leif Erik Sander von der Medizinischen Klinik mit Schwerpunkt Infektiologie und Pneumologie der Charité und seine Kollegen in der aktuellen Studie gewidmet.
Eine der Hauptaufgaben des Immunsystems besteht darin, körperfremdes Material zu erkennen. In speziell abgeschirmten Organellen wird das von spezialisierten Immunzellen aufgenommene, fremde Material im Inneren der Zelle in kleinere Bruchstücke zerlegt, sozusagen „verdaut“. Anders als bei Totimpfstoffen, enthalten Lebendimpfstoffe Mikroben mit einem aktiven Stoffwechsel, der eine Vielzahl verschiedener Moleküle produziert. Eines dieser Moleküle ist die Ribonukleinsäure (RNA). Während des Verdauungsprozesses wird die RNA eines Erregers oder eines Lebendimpfstoffs von einem bestimmten Rezeptortyp der Immunzellen gebunden, dem sogenannten Toll-like-Rezeptor-8 (TLR8). Die Bindung von RNA an TLR8 löst in der Immunzelle eine molekulare Kettenreaktion aus, an deren Ende eine starke Antikörperbildung gegen den Erreger steht. Dies wird dadurch möglich, da TLR8-Signale einen speziellen Typ von Immunzellen auf den Plan rufen, die sogenannten follikulären Helferzellen. Diese Helferzellen unterstützen die B-Zellen des Immunsystems dabei, sich in Antikörper-produzierende Hochleistungsfabriken für die Infektionsabwehr zu verwandeln. Diese neuen Erkenntnisse ermöglichen es zukünftig, durch gezielte Hilfsstoffe in Impfungen, sogenannten Adjuvantien, die follikulären Helferzellen zu aktivieren. Die bisher gebräuchlichen Adjuvantien sind unspezifisch und zum Teil nicht ausreichend effektiv.
Für ihre Studie verwendeten Prof. Sander und sein Team Kultursysteme mit menschlichen Immunzellen und verglichen die Immunantwort gegen lebende und tote Bakterien. Es stellte sich heraus, dass lebende Bakterien leicht veränderte Immunantworten im angeborenen Immunsystem auslösen. Die kleinen Änderungen hatten jedoch starke positive Effekte auf die sogenannte erworbene Immunantwort. Letztere ist für die Antikörperbildung und die langfristige Schutzwirkung von Impfungen verantwortlich. Zudem fanden die Forscher heraus, dass der Tuberkulose-Lebendimpfstoff BCG Menschen mit einer aktiveren Genvariante von TLR8 deutlich besser vor Tuberkulose schützte. Diese Ergebnisse zeigen, dass TLR8 wahrscheinlich einen zentralen Schalter für schützende Impfantworten darstellt.
„Der Unterschied zwischen den Abwehrreaktionen auf tote oder lebende Impfstoffe besteht darin, dass die RNA lebender Erreger durch das Immunsystem erkannt wird und über TLR8 schützende Immunreaktionen auslöst“, fasst Studienleiter Prof. Sander die neuen Erkenntnisse zusammen. Vor dem Hintergrund dramatisch ansteigender Raten an Antibiotika-Resistenzen in der Humanmedizin, aber auch in der Tiermedizin, sieht Prof. Sander dringenden Bedarf an neuen Impfstoffen gegen gefährliche, resistente Bakterien: „Die Ergebnisse könnten es uns ermöglichen, neue Impfungen zu entwickeln, die die Sicherheit von modernen Totimpfstoffen mit der hohen Effektivität von Lebendimpfstoffen kombinieren.“ Derzeit untersuchen die Forscher die Funktionsweise des Masernimpfstoffs und arbeiten gemeinsam mit dem Max-Planck-Institut für Kolloid- und Grenzflächenforschung an neuen Impfstoffen gegen die Lungenentzündung.