WHO ringt sich zur Feststellung einer Pandemie durch
(dpa) Lange hat sie gezögert, doch am Donnerstag griff die Weltgesundheitsorganisation (WHO) endlich zu ihrem letzten Mittel: Sie rief für die Schweinegrippe eine Pandemie aus und gestand erstmals eine weltweite Ausbreitung des mutierten H1N1-Virus ein. Besonders nach dem raschen Ansteigen der bestätigten Grippefälle in Australien in den vergangenen Tagen war Experten klar, dass die WHO diesem Schritt nicht mehr ausweichen konnte. WHO-Generaldirektorin Margaret Chan hatte jedoch mit dem Ausrufen der höchsten Alarmstufe gezögert, weil sie bereits im Kreuzfeuer der Kritik der WHO- Mitgliedstaaten gestanden hatte. Außerdem wird in Genf befürchtet, dass in einigen Ländern Panik ausbrechen könnte.
Von den bis Donnerstag der WHO bestätigten fast 28.000 Fällen, verliefen 141 tödlich. Für Grippeexperten ist dies ein verhältnismäßig leichter Verlauf. Allein bei der letzten großen Pandemie 1968, der Hongkong-Grippe, sollen rund eine Million Menschen gestorben sein. Doch die rasante Ausbreitung der Grippe außerhalb der Grippesaison auf der nördlichen Halbkugel ließ auch den WHO-Grippeexperten Keiji Fukuda ahnen, worauf es hinauslaufen wird. «Wir sind sehr nahe daran zu erklären, dass wir eine Pandemie haben», hatte der amtierende Generaldirektor für Gesundheitssicherheit und Umwelt bereits Anfang der Woche erklärt. Obwohl das Thema fast aus den Schlagzeilen war, nahm die Zahl der Fälle so rasant zu, dass etwa in den USA offiziell gar nicht mehr getestet und gezählt wurde.
Fukuda war es noch gewesen, der Ende April die Erhöhung der Alarmstufe von 3 auf 4 bekanntgab, die bis dahin noch wegen der Vogelgrippe gegolten hatte. Als zwei Tage später dann Chan auf Stufe 5 erhöhte, war die Verwirrung besonders unter den WHO-Mitgliedstaaten groß, obwohl deren Gesundheitsexperten an der Entscheidungsfindung beteiligt waren. «Wir gehen davon aus, dass wir zukünftig früher informiert werden», hieß es etwa in deutschen Diplomatenkreisen, nachdem das Gesundheitsministerium durch die Medien von der Erhöhung erfahren hatte. Schon bei Stufe 5 müssen die Regierungen ihre Gesundheitssystem auf die drohende Pandemie einstellen. Pharmaunternehmen sollten sich auf die Produktion von Impfstoffen und Anti-Grippemitteln konzentrieren.
Die höchste Stufe 6 ist nach bisherigen WHO-Standards jedoch nur der Beweis, dass sich das Virus in mehr als einer Weltregion von Mensch zu Mensch ausbreitet. Fukudas größte Sorge in den vergangen Tagen war, «dass wir eine Panik auslösen». In vielen Ländern, so war bei der WHO zu hören, sind die Vorbereitungen auf eine solche Pandemie noch nicht weit genug gediehen. «Was die Industriestaaten bereits erledigt haben, haben etwa Entwicklungsländer noch lange nicht geschafft, und werden es ohne Hilfe von außen auch nicht schaffen», sagt ein WHO-Experte.
Die UN-Organisation schätzt den derzeitigen Verlauf nach Fukudas Angabe zwar noch als milde ein. Doch dies könne sich schnell ändern, etwa, wenn in der nördlichen Hemisphäre - also auch in Europa und Nordamerika - wieder die Grippesaison beginnt. Sorgen bereite auch, dass etwa die Hälfte der Gestorbenen eben nicht wie sonst bereits durch andere Krankheiten geschwächt oder alt waren. Gerade junge und vorher gesunde Menschen seien betroffen, sagte Fukuda. «Und wir wissen immer noch nicht warum!»
Die WHO will also mit der Ausrufung ihrer höchsten Alarmstufe einen weltweiten Aufmerksamkeitsdruck für die Grippe aufbauen - um sie dadurch wirksam bekämpfen zu können. Keinesfalls bedeute die Stufe 6 jedoch, dass Menschen nun etwa gesetzlich gezwungen seien, mit Mundschutz herumzulaufen, hieß es in Genf ergänzend.
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