Was macht Krebs aggressiv?

Max-Planck-Wissenschaftler entdecken Genom-Baustein, der direkten Einfluss auf den Krankheitsverlauf bei Krebs hat / Wichtiger Durchbruch in der Krebsforschung

10.04.2002

Eine DNA-Besonderheit im Erbgut eines großen Teils der menschlichen Bevölkerung, die den Krankheitsverlauf von Krebs beeinflusst, haben jetzt Wissenschaftler am Max-Planck-Institut (MPI) für Biochemie in Martinsried entdeckt. Prof. Axel Ullrich und seine Kollegen haben ihre Forschungsergebnisse in der Februar-Ausgabe der international angesehenen Zeitschrift "Cancer Research" veröffentlicht. Ihre Erkenntnisse wurden soeben auf der Jahresversammlung der amerikanischen Krebsforschungs-Gesellschaft "American Association of Cancer Research" (6.-11. April 2002) in San Francisco als "einen der wenigen großen Durchbrüche in der neuesten Krebsforschung" vorgestellt.

Im Zentrum der Forschung der Abteilung "Molekularbiologie" des Max-Planck-Instituts für Biochemie stehen Moleküle, die an der Übertragung von Signalen in Zellen beteiligt sind, und die bei der Entstehung und Progression von Krebs und anderen Krankheiten, wie etwa Diabetes, eine entscheidende Rolle spielen. Eine große Rolle bei der Regulation dieser Signalübertragung spielen spezifische Proteine, die Protein-Tyrosin-Kinasen. Diese übertragen Phosphatgruppen an andere Proteine und können auf diese Weise den Signalübertragungs-Mechanismus in der Zelle anschalten und ihre Wachstum bzw. die Zellteilung anregen. Könnte dieser Mechanismus bei Tumorzellen blockiert werden, würde auch das Wachstum und die Ausbreitung von Tumoren im Organismus gestoppt.

Bereits vor einigen Jahren ist es Prof. Axel Ullrich und seinen Mitarbeitern gelungen, einen spezifischen Antikörper zu entwickeln, der an der Oberfläche von Tumorzellen besonders zahlreich gebildete Rezeptormoleküle blockiert und damit das Tumorwachstum hemmen kann. Seit 1998 setzt man diesen Antikörper unter dem Handelsnamen Herceptin® als Medikament für bestimmte Brustkrebsformen ein - als Alternative zu Chemotherapie und Bestrahlung.

Jetzt haben die Martinsrieder Wissenschaftler bei genetischen Studien herausgefunden, dass ein bestimmtes Gen der Signalübertragung in zwei verschiedenen Varianten (Allelen) vorkommt, die sich nur in einem einzigen Baustein der DNS unterscheiden: Sie enthalten in der betroffenen Gensequenz das Nucleotid Adenin an Stelle von Guanin. Dieser Unterschied in einem einzigen DNS-Baustein hat zur Folge, dass auf der Zelloberfläche das entsprechende Protein - ein Rezeptor für einen bestimmten Wachstumsfaktor (FGF) - eine andere Aminosäure enthält.

Die Forscher untersuchten den Krankheitsverlaufs von Patienten mit verschiedenen Tumorarten, und entdeckten, dass Patienten mit einem "Adenin-Allel" einen schlechteren Krankheitsverlauf haben als Patienten mit einem "Guanin-Allel". Daraus schlossen die Wissenschaftler, dass diesem Allel grundsätzlich eine steuernde Funktion bei Wachstum und Ausbreitung von Tumoren zukommen könnte. Bei Untersuchungen von Zellkulturen fanden sie zudem, dass Tumorzellen mit dem Adenin- Allel eine höhere Mobilität im Körper haben als Tumorzellen ohne dieses Allel. Prof. Ullrich: "Diese erhöhte Mobilität von Krebszellen mit dem Adenin-Allel könnte eine wichtige Erklärung für einen aggressiveren Krankheitsverlauf sein."

Bei ihren Studien arbeiteten die Martinsrieder Wissenschaftler mit Krebsforschern der Technischen Universität München, des Petrov-Instituts für Onkologie in St. Petersburg und mit Wissenschaftlern der Universität in Chieti, Italien, zusammen. Dadurch konnten sie diese genetischen Varianten in drei vollkommen verschiedenen geographischen Regionen und sowohl in der gesunden Bevölkerung als auch bei Krebs-Patienten untersuchen. Sie stellten dabei fest, dass vermutlich rund die Hälfte der Bevölkerung mit einem Adenin-Allel ausgestattet ist. Eine Krebserkrankung geht zumeist auf eine einzelne Zelle zurück, in deren Erbgut sich Schäden angehäuft haben. Doch schon nach 30 Teilungen kann aus dieser einen Zelle ein Gramm neues Gewebe entstehen, das ungefähr 1000 Milliarden Zellen enthält. Erst bei einer Erkrankung des betroffenen Menschen würde die jetzt gefundene genetische Variation wirksam - und den Krankheitsverlauf beschleunigen. "Diese Mutation ist nicht die Ursache von Krebs, sie steht aber im Zusammenhang mit dem Verlauf der Krankheit, wenn diese einmal ausgebrochen ist", erklärt Ullrich.

Die Arbeitsgruppe von Prof. Axel Ullrich startet jetzt weiterführende Studien mit einer größeren Anzahl von Patienten, um mehr über die Funktion dieses Gens und seiner Varianten bei der Krebsentwicklung herauszufinden. Daneben suchen die Wissenschaftler aber auch schon nach entsprechenden Antikörpern, die in diese Signalübertragung eingreifen und eventuell Heilung bedeuten könnten. "Die Gentechnik eröffnet uns heute endlich die Möglichkeit, Moleküle zu suchen, die in eine fehlerhafte Signalübertragung bei Krebszellen eingreifen können, für gesunde Zellen aber tolerierbar sind. Diese "smart drugs", die intelligenten Pillen, wirken nur tumorspezifisch und sollen ihr Ziel - die Krebszelle- finden, ohne ihre Umgebung - die gesunden Zellen - zu zerstören."

Die Forschungsergebnisse von Prof. Axel Ullrich über die Signalübertragung zwischen oder innerhalb von Zellen sind von grundsätzlicher medizinischer Bedeutung. Viele menschliche Krankheiten, wie z.B. Krebs, zeigen gestörte bzw. stark veränderte Signalübertragungswege. Prof. Axel Ullrich hat deshalb ein Start-Up-Unternehmen gegründet, die U3 Pharma AG (www.u3pharma.com), das sich auf die Entwicklung von neuen Therapeutika für Krankheiten wie Krebs spezialisiert hat.

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