Zu viele Basen verderben das Gen
Ein Gendefekt einer Blütenpflanze liefert den Schlüssel für die genetischen Grundlagen neurodegenerativer Krankheiten
Marco Todesco /Max-Planck-Institut für Entwicklungsbiologie
Die Wissenschaftler um Detlef Weigel vom Max-Planck-Institut für Entwicklungsbiologie sind durch eine Zufallsbeobachtung auf einen bislang unbekannten Gendefekt bei der Blütenpflanze Arabidopsis thaliana gestoßen: Einige der Pflanzen verkümmerten bei höheren Temperaturen in den klimatisierten Zuchträumen. Wie sich herausstellte, haben diese Individuen einen Defekt in einem ganz spezifischen Abschnitt des Genoms. In einem Gen ist ein aus drei Molekülen bestehender Abschnitt, ein Basentriplett, mehr als 400-fach vorhanden. Diese Triplett-Wiederholungen führen dazu, dass das Gen nicht mehr korrekt abgelesen wird und nur noch wenige funktionsfähige Proteine entstehen.
Dass Triplett-Wiederholungen auch die Ursache für einige schwerwiegende Erbkrankheiten beim Menschen sind, macht die Entdeckung der Tübinger Forscher besonders interessant. So erkranken beispielsweise rund fünf von 100.000 Menschen jedes Jahr an Chorea Huntington, einem bislang unheilbaren Nervenleiden, das zunächst zu Bewegungsstörungen und schließlich zum Tod führt. Etwa eines von 50.000 Neugeborenen in Mitteleuropa leidet an der Friedreich-Ataxie, ebenfalls eine neurodegenerative Erkrankung, die im Laufe des Lebens zunehmend zu Bewegungsstörungen und Demenz führt. "Mit Arabidopsis thaliana haben wir einen Modellorganismus gefunden, an dem wir die genetischen Ursachen und die Entstehung schwerer Erbkrankheiten des Menschen untersuchen können," sagt Detlef Weigel.
"Bei Arabidopsis können wir untersuchen, wie sich die Triplett-Wiederholungen über mehrere Generationen verändern. Dies ist beim Menschen wegen der langen Generationsfolge schwierig. Im Pflanzenmodell können wir nicht nur innerhalb kürzester Zeit mehrere Generationen betrachten, wir können auch genetische Untersuchungen machen, die beim Menschen unmöglich sind," erläutert Marco Todesco, einer der Hauptautoren der Studie.
Die Wissenschaftler haben das Genom einer Bur-0 genannte Rasse der nahezu weltweit verbreiteten Blütenpflanze Arabidopsis thaliana untersucht, da diese Pflanzen beim Umsetzen in einen 27 Grad Celsius warmen Zuchtraum plötzlich verkümmerten, während sie bei 23 Grad gut gewachsen waren. Es stellte sich heraus, dass in dem IIL1 Gen ein Basentriplett mehr als 400-mal hintereinander vorkam. Bei Vergleichspflanzen lag diese Sequenz nur 20-mal vor. Das betroffene Gen enthält die Information für ein Protein, das für die Chloroplasten und damit das Überleben der Pflanzen wichtig ist. Durch die Triplett-Wiederholungen kann das Gen nicht korrekt abgelesen werden, was dazu führt, dass die Pflanzen klein und kümmerlich werden.
Wiederholungen kurzer Genabschnitte treten bei vielen verschiedenen Organismen auf und haben nicht nur negative Folgen. Da die Variationen im Erbmaterial dazu führen, dass sich die Individuen sichtbar voneinander unterscheiden, gehen die Wissenschaftler davon aus, dass dieses Phänomen eine Rolle bei der Evolution der Arten spielt. "Diese Wiederholungen können besonders leicht entstehen, aber auch wieder verschwinden. Dadurch sind sie besonders variabel und könnten zu kurzfristigen evolutionären Veränderungen beitragen", sagte Detlef Weigel.
Originalveröffentlichung: Sridevi Sureshkumar et al.; "A genetic defect caused by a triplet repeat expansion in Arabidopsis thaliana"; Science, 20. Februar 2009, Online-Vorabveröffentlichung 29. Januar, 2009