Was Viren im Mittelmeer machen

PNAS: Viren zeigen der Wissenschaft einen neuen Weg durch ihre Wirtszelle

27.08.2008 - Deutschland

Wer in diesem Sommer zum Baden ans Mittelmeer fährt, wird kaum ahnen, dass dort jeder Tropfen Meerwasser eine erhebliche Menge DNA enthält, die durchaus auch funktionsfähige Gene umfasst. Diese DNA hat nichts mit einer Verschmutzung des Wassers zu tun; neuere Untersuchungen weisen darauf hin, dass die DNA überwiegend in Form verschiedener Pflanzenviren vorliegt. Ein einziger Wassertropfen kann Tausende Viren enthalten. Für die Badeurlauber sind sie gänzlich harmlos, können sich aber in den Algen mitunter geradezu seuchenartig vermehren. Zu diesen Viren zählt etwa das Virus EsV-1, das vor einiger Zeit in der Nähe von Neapel in der kleinen Braunalge Ectocarpus siliculosus identifiziert wurde. In einer internationalen Kooperation wird dieses Virus derzeit unter Beteiligung der Arbeitsgruppe von Prof. Dr. Joachim Rassow (Institut für Physiologische Chemie der Ruhr-Universität) näher untersucht.

P. Papatheodorou, Bochum

Hefe-Mitochondrien

Viren enthalten in der Regel nur wenig Erbmaterial. Das Genom des AIDS-Virus, HIV, enthält z.B. lediglich neun Gene. Wesentlich größer ist das Genom des EsV-1: Dr. Nicolas Delaroque vom Max-Planck-Institut für chemische Ökologie in Jena ermittelte insgesamt 231 unterschiedliche EsV-1 Gene. "Spannend ist nun die Frage, warum das EsV-1 so viele Gene enthält, und was für Proteine von diesen Genen kodiert werden", erklärt Prof. Dr. Jochaim Rassow. Interessanterweise kodiert eines der EsV-1-Gene einen kleinen Kaliumkanal. Die Pore bildet sich, indem sich jeweils vier gleichartige Proteinmoleküle kreisförmig in der Membran anordnen. Seiner räumlichen Struktur nach sind die Kanäle damit im Prinzip genauso aufgebaut wie die Kaliumkanäle im Nervensystem der Tiere und des Menschen. Ein Virus aus einer Alge kodiert einen Kaliumkanal, der aussieht wie ein Kaliumkanal aus dem Gehirn.

Dieser Befund wirft eine Reihe von Fragen auf, denen inzwischen in einer internationalen Kooperation nachgegangen wird. Beteiligt sind neben den Bochumer Forschern u.a. die Arbeitsgruppen von Prof. Gerhard Thiel (Technische Universität Darmstadt), Prof. Anna Moroni (Università degli Studi di Milano), und Prof. James L. Van Etten (University of Nebraska). Bekanntlich bahnen sich die Gedanken im Gehirn über elektrische Signale ihren Weg, und zwar unter Vermittlung der Ionenkanäle der Nervenzellen. Seltsamerweise wird ein ähnlich gebauter Kanal nun auch von den EsV-1 Viren in der Braunalge angelegt. Natürlich haben die Algen keine Nervenzellen. Wo bleiben dann die Kaliumkanäle? In der Arbeitsgruppe von Prof. Gerhard Thiel wurde die Entdeckung gemacht, dass die Kaliumkanäle letztlich in die Mitochondrien der Alge eingebaut werden. Und woher wissen die Kaliumkanäle, wie sie zu den Mitochondrien gelangen können? "Die Viren haben dazu einen besonderen Mechanismus entwickelt, nämlich ein eigentümliches Zielfindungssignal, das in der Forschung bislang in dieser Form noch unbekannt war", erklärt Prof. Rassow. Seine Arbeitsgruppe beschäftigt sich schon seit längerer Zeit mit den Wegen, auf denen Proteine zu Mitochondrien gelangen. "Die Viren haben uns gleichsam einen geheimen Gang verraten, der zu den Mitochondrien führt", erläutert er die Befunde.

Es bleibt die Frage, was Viren dazu bewegt, die Mitochondrien ihrer Wirtszellen mit derartigen Kanälen auszustatten. Gibt es mitochondriale Kaliumkanäle auch in Zellen, die nicht mit Viren in Berührung gekommen sind? "Interessanterweise wurden Kaliumkanäle in früheren Studien in den Mitochondrien des gesunden Herzmuskels des Menschen nachgewiesen. Hier scheinen sie die Zellen z.B. vor den Folgen eines Herzinfarktes zu schützen", erklärt Prof. Rassow. Mitochondriale Kaliumkanäle scheinen Zellen zu stabilisieren. Doch warum sollte sich ein Algenvirus vor einem Herzinfarkt schützen? "Tatsächlich sind Viren immer in der Gefahr, dass sich ihre Wirtszellen schnell selber abtöten, um die benachbarten Zellen vor einer Infektion zu bewahren", erläutert Prof. Rassow. "Viren haben also ein Interesse daran, ihre Wirtszellen zu stabilisieren. Vielleicht tun sie das in der Braunalge Ectocarpus siliculosus durch den Einbau von Kaliumkanälen."

Weitere News aus dem Ressort Wissenschaft

Diese Produkte könnten Sie interessieren

Antibody Stabilizer

Antibody Stabilizer von CANDOR Bioscience

Protein- und Antikörperstabilisierung leicht gemacht

Langzeitlagerung ohne Einfrieren – Einfache Anwendung, zuverlässiger Schutz

Stabilisierungslösungen
DynaPro NanoStar II

DynaPro NanoStar II von Wyatt Technology

NanoStar II: DLS und SLS mit Touch-Bedienung

Größe, Partikelkonzentration und mehr für Proteine, Viren und andere Biomoleküle

Loading...

Meistgelesene News

Weitere News von unseren anderen Portalen

So nah, da werden
selbst Moleküle rot...