Neuronen bei Querschnittlähmung regenerieren lassen
Förderpreis für LMU-Nachwuchsforscherin
Bareyre, die rund eine Million Euro Förderung über fünf Jahre erhält, wird sich in ihrer Forschung der Verbesserung der Rückenmarksfunktion bei Querschnittlähmung widmen. "Es geht dabei um die Grundlagen der neuronalen Prozesse, die nach einer schweren Verletzung des Rückenmarks das Wiedererlangen der verlorenen Funktionen ermöglichen können", sagt Bareyre. "Ich werde an neuen Strategien arbeiten, mit denen wir die Reorganisation der zerstörten Nervenzellverbindungen nach einem solchen Trauma verbessern können."
Junge Erwachsene sind es in erster Linie, die bei der Arbeit oder bei Verkehrsunfällen schwere Rückenmarksverletzungen davontragen. Während die Defizite bei einer kompletten Durchtrennung irreversibel sind und lebenslang bestehen, kommt es bei partiellen Läsionen vielfach zu einer spontanen funktionellen Erholung.
"In vorangegangenen Arbeiten konnten wir zeigen, dass die Ausbildung neuer axonaler Umgehungswege zumindest nach einer experimentellen Verletzung des Rückenmarks für diese Erholung von entscheidender Bedeutung ist", berichtet Bareyre. "Wir konnten zudem neue molekularbiologische Techniken zur Darstellung dieser Umgehungswege etablieren. Das spontane Wachstum dieser Axone genügt aber nicht, um funktionelle Defizite zu beheben. Die regenerierenden Nervenzellen müssen vielmehr in ein Netzwerk im Rückenmark integriert werden." Für diese Ergebnisse erhielt die Biologin letztes Jahr bereits den mit 10.000 Euro dotierten Sobek-Nachwuchspreis, der richtungsweisende wissenschaftliche Leistungen zur Multiplen Sklerose auszeichnet. Auch bei dieser Autoimmunerkrankung des zentralen Nervensystems kommt es vielfach zu Unterbrechung von Nervenfasern im Rückenmark. Längerfristig könnten also auch MS-Patienten von Bareyres Arbeiten profitieren.
Bevor daraus aber Therapien entstehen, müssen erst noch einige grundlegende Fragen geklärt werden. So weiß man nicht, wie erneut wachsende Ausläufer von Nervenzellen den korrekten Weg zu ihren Zielpunkten finden. Ebenfalls unbekannt ist, wie diese regenerierenden Axone Verbindungen, so genannte Synapsen, schaffen, von denen letztlich die neuronale Signalübertragung entscheidend abhängt. "Wir wollen auch untersuchen, welche therapeutischen Strategien die Axone bei der Suche nach dem richtigen Weg und der Synapsenbildung unterstützen können", meint Bareyre. "Auch wenn es darauf noch keine Antworten gibt, können wir uns auf wertvolle Vorarbeiten stützen. So wurden ähnliche Vorgänge bereits im Detail im sich entwickelnden Nervensystem untersucht und dabei wichtige molekulare Mechanismen identifziert".
Bislang konnten diese Erkenntnisse aber nur zum Teil auf Rückenmarksverletzungen übertragen werden. Das lag unter anderem daran, dass es keine geeigneten Mittel gab, die Axone bei der Orientierung und bei der Synapsenbildung nach einem Trauma zu beobachten.
"Deshalb wurden in den letzten Jahren neuartige Ansätze entwickelt, die uns jetzt erlauben, eben diese Prozesse direkt im lebenden Organismus zu beobachten", sagt Bareyre. "Besonders wichtig ist, dass wir damit auch therapeutische Effekte auf die Reparatur der Axone analysieren können." Im jetzt geplanten Projekt sollen dank der neu entwickelten Methoden Moleküle identifiziert werden, die nachwachsenden Axonen Orientierung geben oder zur Synapsenbildung beitragen. Letztlich geht es um die Entwicklung von Strategien, die diese Vorgänge unterstützen. Auch hier gibt es Vorarbeiten: So existieren bereits wachstumsfördernde Therapien, die aber nur ein ungerichtetes Sprießen der Axone bewirken - die Verbindung mit den jeweiligen Zielstrukturen funktioniert noch nicht. "Im günstigsten Fall würden neu entwickelte Therapienstrategien in Kombination mit bereits bestehenden Ansätzen die gezielte Reparatur durchtrennter Nervenzellverbindungen fördern und damit die funktionale Erholung von Querschnittsgelähmten in Deutschland und weltweit verbessern", so Bareyre.