Wachstumsmarkt: Functional Genomics auf dem Vormarsch

18.02.2002

Nach der Entzifferung des menschlichen Erbgutes steht jetzt das Auslesen der Genfunktionen an. Basis für rationelle und schnelle Analysen sind hochtechnisierte, kommerzielle Methoden. Die analytica 2002 vom 23. bis 26. April 2002 stellt die neuesten Techniken und Systeme zur Genfunktionsanalyse vor, auf der Analytica Conference werden parallel in einem gesonderten Symposium die wichtigen Forschungsansätze diskutiert.

Ziel des weltweiten Rennens um die Interpretation des genetischen Bauplans sind eine verbesserte Frühdiagnose von Krankheitsveranlagungen sowie die Effizienzsteigerung bei der Entwicklung hochwirksamer und nebenwirkungsfreierer Medikamente. Um die Gene nicht nur zu lesen, sondern auch zu verstehen, haben die Wissenschaftler in den letzten Jahren ein immer ausgefeilteres Arsenal an hochtechnisierten Analysemethoden entwickelt.

So ist inzwischen ein hochdynamischer Markt für Technologien wie DNA-Chips, die Proteomanalyse oder die Bioinformatik entstanden - und er wächst gewaltig: Gewinnprognosen verschiedenster Analysten bewegen sich im zweistelligen US-Dollar-Milliardenbereich für die nächsten fünf Jahre, bei einem jährlichen Marktwachstum von rund 15 bis 25 Prozent. An dieser Zukunftssparte ist auch die deutsche Industrie maßgeblich beteiligt: Bei der Entwicklung von Methoden zur Genfunktionsanalyse spielen deutsche Forscher und Unternehmen weltweit ganz vorne mit. Mit welchen Konzepten und Systemen sie die internationale Märkte bedienen, zeigt der Ausstellungsschwerpunkt Biotechnologie & Diagnostik in den Hallen B3 und B2 auf der Analytica 2002. Unternehmen wie zum Beispiel Agowa, BioCat, Biostep, Bio-RAD Laboratories, Biozym Diagnostik, ICB Institut für Chemie- und Biosensorik, Lavision Biotec, MWG-Biotech, Schleicher & Schüll Bioscience, Scienion, SIRS-Lab oder Thermo Hybaid präsentieren auf der Messe ihr Spektrum an Bio- und Proteinchips sowie an bioinformatischen Verfahren. Wachstumsbranche DNA-Biochips Eine essentielle Rolle bei der Analyse der Genfunktionen spielen die DNA-Biochips. Mit ihnen lässt sich bestimmen, welche Gene in einer Zelle abgelesen (exprimiert) werden und dann als sogenannte RNA vorliegen. Damit erlauben die Biochips die Identifikation von Genaktivitäten oder von Genen, die charakteristisch für Krankheitszustände sind. Eine Ende letzten Jahres von der US-Unternehmensberatung Front Line Strategic Consulting veröffentlichte Studie prognostiziert dem Markt rund um DNA-Biochips oder -Microarrays ein Volumen von 3,5 Milliarden US-Dollar in den nächsten fünf Jahren.

Das Funktionsprinzip dieser Microarrays ist denkbar einfach: Man isoliert die gesamte abgelesene DNA - die sogenannte RNA - aus der zu untersuchenden Zelle und gibt diese auf den Biochip. Die DNA-Stückchen auf dem Chip und die Zell-RNAs, die einander entsprechen, binden aneinander. Diese Bindung kann auf verschiedenste Weise - meist optisch - gemessen werden. Resultat ist ein für den betrachteten Zellzustand charakteristisches Muster, das mit Hilfe entsprechender Detektoren aufgezeichnet wird und sich durch spezielle Bilderkennungs- und -auswertungs-software bioinformatisch analysieren lässt.

Wegen der relativ teuren Fertigung der Biochips erlaubt bisher nur die Produktion großer Stückzahlen die rentable Chipherstellung. Völlig neu ist die Entwicklung sogenannter programmierbarer Chips, deren Markteinführung 2002 bevorsteht. In einem vollautomatisierten Prozess wird ein auf die individuell benötigten experimen-tellen Bedingungen zugeschnittener DNA-Array am Computer entworfen und die (Bindungs)Ergebnisse nach Zugabe der Probe in digitaler Form ausgegeben.

Neuer Trend: Proteomics und Proteinchips

Da die DNA-Arrays lediglich Aussagen über die abgelesenen Gene, nicht aber die in der Zelle aktiven Proteine erlauben, hat sich in jüngster Zeit ein stark wachsender Markt für die Erkennung von Proteinmustern in der Zelle oder in Organellen bzw. Mikroorganismen etabliert. Dieser soll nach Analyse des US-Unternehmens Frost & Sullivan bis 2005 auf 5,8 Milliarden US-Dollar wachsen. Dabei vergleicht man Proteinmuster, die charakteristisch für bestimmte Zellzustände sind, ebenso wie die Proteinmuster in kranken und gesunden Zellen. Hoffnung der Pharmaindustrie ist die Identifizierung der tatsächlich krankheitsrelevanten Proteine, die direkt als Angriffspunkte für neue Medikamente in Frage kommen.

Im Gegensatz zu DNA-Microarrays kommen wegen der biochemischen Individualität der Proteine aber gänzlich andere Techniken zur Darstellung der Gesamtheit der Proteine - des sogenannten Proteoms - zum Einsatz. Nach Aufschluß der Zellen werden diese nach Größe und Ladung in sogenannten zweidimensionalen Gelen aufgetrennt, daraus ausgestochen und anschließend meist massenspektrometrisch und mit bioinformatischen Hilfsmitteln analysiert.

Erst in jüngster Zeit gibt es auch sogenannte Proteinchips am Markt, die sich die spezifische Bindung von Proteinen an auf Chips gebundene Wechselwirkungspartner zunutze machen. Allerdings ist in der Proteomforschung noch viel Entwicklungsarbeit nötig, um tatsächlich alle wesentlichen Proteine reproduzierbar erfassen zu können.

Vor der Kommerzialisierung: "Functional Knock-out"

Die meisten Hinweise auf medizinisch relevante Gene und Proteine des Menschen erhalten die Forscher heute durch Vergleich mit ähnlichen Molekülen aus Tiermodellen, deren Funktion man bereits kennt. Bei der Suche nach Ähnlichkeiten helfen dabei bioinformatische Methoden, die Millionen von Informationen in kurzer Zeit miteinander verknüpfen helfen.

Um neue Funktionen zu erschließen, werden seit kurzem unbekannte Gene systematisch inaktiviert und die zellulären Konsequenzen beobachtet - auf RNA-, Protein- und Zellebene sowie für das lebende Tier. Ein erst im letzten Jahr von deutschen Wissenschaftlern veröffentlichter Ansatz arbeitet auf Basis der sogenannten RNA-Interferenz (RNAi). Kurze RNA-Moleküle - sogenannte siRNAs -bewirken in der Zelle den Abbau der entsprechenden Genprodukte und behindern damit die Bildung bestimmter Proteine. Die neue derzeit kommerzialisierte Technik verspricht, die Konsequenzen des Proteinausfalls gezielt untersuchen zu können und damit krankheitsrelevante Zellprozesse molekular zu entschlüsseln.

Molekulare Medizin

Ein weiterer Markt ist die Analyse genetischer Variationen, die dazu führen, dass Medikamente nicht wirken, Nebenwirkungen zeigen oder sogar Schäden verursachen. Die Berücksichtigung solch genetisch festgeschriebener Genvariationen bei der Entwicklung von Medikamenten verspricht Pharmaunternehmen große Kosten-einsparungen sowie eine gezieltere Verordnung individuell wirksamer Medikamente.

Pro Gen gibt es nach einer unlängst veröffentlichten Studie der US-Firma Genaissance rund zwölf solcher Punktmutationen, bei denen ein DNA-Baustein gegen einen anderen ausgetauscht ist und bestimmte Zellfunktionen beeinträchtigt. Eine der pharmazeutisch relevantesten Auswirkungen dieser genetischen Abweichungen (SNPs, single nucleotide polymorphisms) ist ein schnellerer Medikamentenabbau in der Leber oder das Ausschleusen von Medikamenten aus der Zelle. Daneben kann es dazu kommen, dass die eingesetzte Arznei nicht wirkt, weil ein verändertes Zielprotein in der Zelle entsteht - oder aber die genetische Abweichung führt zu einer größeren Krankheitsveranlagung.

Kein Wunder also, dass zwischenzeitlich eine Vielzahl von Techniken verfügbar sind, mit denen diese SNPs erkannt und auf ihre Relevanz hin untersucht werden können. Das Spektrum reicht von DNA-Microarrays, welche die veränderte Bindungsgeschwindigkeit der Genvarianten an die Chip-DNA messen (sog. kinetische Chips) über Chromatographie- und massenspektrometrische Verfahren. Die wichtigsten Anbieter dieser Techniken stellen ihr Produktportfolio auf der ANALYTICA 2002 vor. Ziel aller Methoden ist, die für den jeweiligen Krankheitszustand charakteristischen SNPs zu finden und auf dieser Basis maßgeschneiderte Medikamente zu entwickeln.

Der Functional Genomic Analysis ist auch ein eigener Themenblock auf der Analytica Conference gewidmet. Internationale Forscher informieren über die neuesten Erkenntnisse und Einsatzmöglichkeiten der Genfunktionsanalyse, berichten aber auch über die momentanen Grenzen in ihrer Aussagekraft und Übertragbarkeit der Ergebnisse von Tieren auf den Menschen. Vorträge über neue Analysetechniken und Tools wie Chemical Printing, High Throughput Mikroskopie, Proteinchips oder Biosensoren zeigen die nächsten Forschungsschritte auf und geben wichtige Signale für die kommerzielle Umsetzung in den industriellen Biolabors.

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