"Function follows form" - Therapien für krank machende Proteinfehlfaltungen

10.06.2008

Die Phenylketonurie ist eine der häufigsten genetisch bedingten Stoffwechselerkrankungen des Menschen und beruht auf einem Enzymdefekt. Bis vor kurzer Zeit konnten die zum Teil schweren Symptome des Leidens nur mit Hilfe einer strikten Diät verhindert werden. Dann gelang einem Forscherteam unter der Leitung von Professor Ania C. Muntau vom Dr. von Haunerschen Kinderspital der Ludwig-Maximilians-Universität (LMU) München der Nachweis, dass der natürliche Kofaktor des defekten Enzyms auch bei normaler Kost bei mehr als jedem zweiten Patienten eine signifikante Verbesserung bewirkt.

In einer nun online im Fachmagazin American Journal of Human Genetics veröffentlichten Untersuchung konnte Muntau mit Kollegen zeigen, dass bestimmte genetische Veränderungen zu einer falschen dreidimensionalen Struktur des betroffenen Enzyms führen - das dann seine Funktionen nicht mehr erfüllen kann. "Auf Grundlage dieser Ergebnisse werden wir nun die Wirkung des Kofaktors auf die Proteinfaltung untersuchen, um letztlich individualisierte Therapien für die Patienten zu entwickeln", meint Muntau. "In einem weiteren Projekt wollen wir dann Krankheiten identifizieren, die ebenfalls auf einer defekten Proteinfaltung beruhen. Wahrscheinlich lässt sich auch in anderen Fällen durch geeignete Moleküle eine Korrektur bewirken."

Voll funktionsfähig ist ein Protein nur, wenn es aus einer Vielzahl möglicher Faltungen seine jeweils spezifische Struktur ausbildet. Kommt es bei diesem sensiblen Prozess zu Fehlern, können die Folgen dramatisch sein. So kann eine fehlerhafte Faltung zur Bildung toxischer Proteinaggregate führen, etwa bei Alzheimer oder bei Parkinson. "Bei anderen Leiden führt die Fehlfaltung dagegen zu einem Funktionsverlust des betroffenen Proteins", berichtet Muntau. "Die Phenylketonurie ist ein wichtiges Beispiel dafür und deshalb für die Wissenschaft interessant. Denn eine Störung der Raumstruktur der Proteine ist das gemeinsame Prinzip überraschend vieler genetischer Erkrankungen. Trotzdem fanden dieser Mechanismus und die Bedeutung einer defekten Proteinfaltung mit Funktionsverlust erst in jüngster Zeit verstärkt Beachtung." Das betrifft auch und vor allem genetische Erkrankungen im Kindesalter, die - jede für sich genommen - selten sind, in ihrer Summe aber eines von 500 Kindern betreffen.

Wie man weiß, führen genetische Veränderungen bei der Phenylketonurie zu einem Defekt des Enzyms Phenylalaninhydroxylase. Infolgedessen sammelt sich ein essentieller Proteinbaustein, die Aminosäure Phenylalanin, im Körper an. Unbehandelt kommt es dann von den ersten Lebensmonaten an zu einer verzögerten Entwicklung des Gehirns mit hochgradiger geistiger Behinderung und schwersten neurologischen Störungen. Diese Symptome treten mittlerweile nur noch selten auf, weil die Phenylketonurie als erste genetische Erkrankung überhaupt standardisiert bei Neugeborenen getestet wurde und damit in der Regel frühzeitig entdeckt wird. Die Betroffenen müssen dann lebenslang eine strenge Diät ohne die Aminosäure Phenylalanin - und damit nahezu ohne Eiweiß - einhalten. Daher war es als Durchbruch zu werten, als Muntaus Team zeigen konnte, dass pharmakologische Dosen des natürlichen Enzym-Kofaktors Tetrahydrobiopterin bei mindestens 60 Prozent der Patienten die schweren Symptome verhindern können - auch bei phenylalanin-haltiger Ernährung.

Eine nahe liegende Hypothese ist nun, die therapeutische Wirkung des Kofaktors auf eine Korrektur der Proteinfehlfaltung zurückzuführen. Doch der Wirkmechanismus ist noch ungeklärt - obwohl Tetrahydrobiopterin in den USA bereits als Medikament zur Behandlung der Phenylketonurie zugelassen ist. Im Rahmen der aktuellen Untersuchung konnten die Forscher um Muntau die Proteinfehlfaltung der Phenylalaninhydroxylase auf experimenteller Ebene nun aber erstmals direkt nachweisen. "Wir konnten zeigen, dass durch die genetischen Veränderungen eine Aminosäure, also ein Proteinbaustein, im Enzym durch eine andere Aminosäure ausgetauscht wird", berichtet die Kinderärztin. "Dabei übt dieser Fehler nicht nur eine lokale Wirkung auf die Faltung des Proteins aus, sondern auch eine Fernwirkung auf die Struktur und Funktion des Enzyms. Überrascht hat uns, wie viele Funktionen des Enzyms durch einen einzelnen Aminosäureaustausch verändert werden können, wobei jede genetische Veränderung ihr ganz eigenes Muster an Störungen verursacht."

Diese Resultate führen nun zu einer neuen Sichtweise der Funktion und auch der Fehlfunktion des Enzyms Phenylalaninhydroxylase, die vermutlich auch auf andere Proteine anwendbar ist. Demnach entstehen die Struktur und die Funktion von Proteinen nicht nur auf Grundlage ihrer funktionellen Domänen, also von Teilbereichen, die bestimmte Aufgaben übernehmen. Vielmehr ist das Zusammenspiel verschiedener funktioneller Einheiten entscheidend, die sich meist aus einer strukturell genau festgelegten Kombination mehrerer Proteinuntereinheiten mit jeweils mehreren Domänen ergeben. Doch der Weg dahin ist fehleranfällig. Schließlich werden Proteine zunächst in Form langer Ketten synthetisiert, die nicht nur selbst eine spezifische dreidimensionale Struktur einnehmen müssen, sondern sich oft - als Untereinheiten - in Kombination mit anderen Proteinen zusammenfinden müssen, um dann gemeinsam eine ebenfalls genau festgelegte, sogenannte Quartärstruktur zu bilden.

Originalveröffentlichung: Soeren W. Gersting, Kristina F. Kemter, Michael Staudigl, Dunja D. Messing, Marta K. Danecka, Florian B. Lagler, Christian B. Sommerhoff, Adelbert A. Roscher, and Ania C. Muntau; Loss of function in phenylketonuria is caused by impaired molecular motions and conformational instability"; American Journal of Human Genetics 2008.

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