Natürliche Umgebung für künstliches Gewebe

07.11.2006

Wenn Gewebe verletzt werden oder Organe erkranken, ist die Transplantation oft der einzige Weg zu einer Heilung. Der Körper akzeptiert jedoch fremdes Gewebe nicht so einfach. Der Empfänger muss lebenslang Medikamente nehmen um eine Abstoßung des transplantierten Gewebes zu verhindern. Einen Ausweg versprechen autologe Transplantate, die aus den Zellen des Patienten selbst im Labor (in vitro) hergestellt werden. Mit Hilfe des Tissue Engineering wurden in der regenerativen Medizin in den letzten Jahren bereits große Erfolge erzielt. Autologe Haut- und Knorpeltransplantate sind auf dem Markt, Herzklappen werden klinisch erprobt. Am Fraunhofer-Institut für Grenzflächen- und Bioverfahrenstechnik IGB in Stuttgart gelang dem Diplom-Ingenieur (Technische Kybernetik) Jan Hansmann aus der Arbeitsgruppe Zellsysteme nun mit seiner Diplomarbeit "Entwicklung eines Bioreaktors für den Einsatz im vaskularisierten Tissue Engineering" ein großer Schritt auf dem Weg zu komplexeren künstlichen Geweben. Dafür wurde er mit dem 1. Preis des von der bayerischen Staatsregierung für die Fraunhofer-Gesellschaft gestifteten Hugo-Geiger-Preises für die Life Sciences ausgezeichnet.

Der rechnergestützte Bioreaktor ist ein Kulturgefäß, das Hansmann speziell für eine am Fraunhofer IGB vorhandene vaskularisierte Biomatrix entwickelte. Für den Aufbau dreidimensionaler, organähnlicher Gewebe werden nicht nur lebens- und vermehrungsfähige Zellen benötigt, sondern auch eine Trägerstruktur (Matrix), auf der die Zellen wachsen und gewebetypische Merkmale ausbilden. "Die vaskularisierte Biomatrix ist ein Stück Schweinedünndarm, von dem alle tierischen Zellen entfernt wurden. Sie besitzt eine Arterie für die Zufuhr von Nährstoffen und eine Vene für die Ableitung von Stoffwechselprodukten", erklärt Professor Heike Mertsching, Abteilungsleiterin Zellsysteme am IGB. Wenn die verbleibenden Blutgefäße und Kapillaren - wie im Körper - mit patienteneigenen Endothelzellen ausgekleidet sind, können organspezifische Zellen auf der Trägerstruktur angesiedelt und zusammen mit den Endothelzellen - in Kokultur - wachsen und gewebespezifische Funktionen übernehmen.

Im Bioreaktor ist das Gewebestück analog zur natürlichen Situation an einen simulierten "Blutkreislauf" angeschlossen. Über separate Anschlüsse für die Arterie und die Vene der Matrix wird frische Nährlösung zu- und verbrauchte abgeführt. Ein angeschlossener Rechner regelt die arterielle Nährstoffzufuhr über Parameter wie arteriellen Druck, Temperatur und Strömungsgeschwindigkeit. "So werden physiologische Bedingungen geschaffen, wie sie in der natürlichen Umgebung des Gewebes im Körper herrschen", sagt Hansmann. Wie im Körper das Herz stoßweise Blut durch die Gefäße pumpt, so erzeugt im Bioreaktor eine Pumpe den Druck ebenso pulsatil. "Dies ist von großem Vorteil, da die Endothelzellen nur so vital bleiben und ihre typischen Eigenschaften nicht verlieren. Zudem kann untersucht werden, wie sich Pulsfrequenz, Blutdruckamplituden oder Blutdruckmittelwerte auf die Zellen eines Gewebes auswirken", hebt Hansmann hervor. Mit dem Bioreaktor ist es den Wissenschaftlern der Arbeitsgruppe gelungen, aus Leberzellen und Endothelzellen ein künstliches Lebergewebe mit seiner gewebespezifischen Morphologie und Funktion zu erzeugen, mit dem beispielsweise Medikamente auf Toxizität und Nebenwirkungen der Abbauprodukte getestet werden können.

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