Forscher entdecken neue Schlüsselfunktion eines Enzyms im Nervensystem

Auswirkung auf die Entwicklung von Medikamenten gegen Alzheimer

26.09.2006

Seit die Wissenschaft die Entstehungsmechanismen der Alzheimer-Krankheit aufgedeckt hat, die zum Untergang von Nervenzellen führen, arbeiten Pharmaforscher daran, Hemmstoffe gegen diese schwere Demenzerkrankung zu entwickeln. Jetzt haben Forscher der Ludwig-Maximilians-Universität (LMU) München und des Max-Delbrück-Centrums für Molekulare Medizin (MDC) Berlin-Buch entdeckt, dass ein Enzym, das dabei eine entscheidende Rolle spielt, eine weitere Schlüsselfunktion bei der Entwicklung des Nervensystems hat. Das Enzym beta secretase (kurz BACE1) sorgt dafür, dass die Fortsätze von Nervenzellen ähnlich einem Stromkabel mit einer Isolierschicht, dem Myelin, ummantelt werden, so dass Erregungen rasch ins Gehirn gelangen.

Die Entdeckung von Dr. Michael Willem (LMU), Dr. Alistair Garratt, Prof. Carmen Birchmeier (beide MDC) und Prof. Christian Haass (LMU) hat auch Auswirkungen auf die Entwicklung von Alzheimer-Medikamenten. Forscher hatten nämlich in Versuchen mit genetisch veränderten Mäusen zeigen können, dass die Alzheimer Krankheit nicht ausbricht, wenn das Gen für BACE1 blockiert wird. Jetzt konnten die Forscher in München und Berlin jedoch nachweisen, dass sich die Myelinschicht bei neugeborenen Mäusen mit blockiertem BACE1-Gen nur unvollständig ausbildet, was zu Nervenschäden führen kann. "Damit haben wir erstmals die Möglichkeit, bei der Entwicklung von Hemmstoffen gegen die Alzheimer-Krankheit Nebenwirkungen genau zu beobachten", erläutert Prof. Haass die Bedeutung der Arbeit.

Alzheimer wird durch unlösliche Eiweißbruchstücke, Amyloid genannt, verursacht. Diese Bruchstücke entstehen, weil eine molekulare Schere, beta-secretase oder BACE1 (beta-site amyloid precursor protein-cleaving enzyme 1), sie aus einem Vorläuferprotein, dem APP (amyloid precursor protein), herausschneidet. Warum BACE1 APP zerschneidet, ist noch völlig unklar. Wird das Gen für BACE1 gehemmt, wird APP nicht zerteilt und es entsteht kein Alzheimer.

Doch die Forscher entdeckten, dass die isolierende Myelinschicht um die Nervenfortsätze sich unvollständig ausbildet, wenn sie das BACE1-Gen blockieren. Auch die kleinen schmerzempfindlichen Nervenfasern, die sich zu so genannten Remak-Fasern bündeln, sind nicht mehr vollständig ummantelt. Stattdessen ist die nicht zerschnittene Form eines anderen Proteins, Neuregulin 1 (Typ III), verstärkt in den Nervenzellen (Neuronen) nachweisbar.

Dr. Alistair Garratt und Prof. Carmen Birchmeier hatten vor einigen Jahren als erste zeigen können, dass die Nervenzellen Neuregulin 1 (Typ III) bilden, um so genannte Schwann`sche Zellen, eine Gruppe von Gliazellen, zu den Nervenfortsätzen zu locken. Dort bilden diese Gliazellen später die Myelinschicht.

Wie die MDC-Forscher jetzt zeigen konnten, steuert auch BACE1 die Bildung der Myelinschicht. Ausserdem entdeckten Dr. Willem und Prof. Haass in München, dass BACE1 eine spezifische Stelle in Neuregulin 1 erkennt und schneidet. Anders als bei der Entstehung von Alzheimer, wo die Zerschneidung des Proteins APP böse Folgen hat, scheint BACE1 den Lockstoff Neuregulin zerteilen zu müssen, damit die Schwann`schen Zellen dicke Myelinschichten aufbauen können. Damit haben die Forscher eine der physiologischen Funktionen von BACE1 im Organismus entdeckt.

Die Neuronen von neugeborenen Mäuse bilden sehr viel BACE1, um die Nervenfortsätze mit Myelin zu umhüllen. "BACE1 hat also auch positive Funktionen, nicht nur schlechte", erläutert Dr. Garratt die Ergebnisse dieser Arbeit. Fehlt die Myelinschicht oder ist sie nur unvollständig ausgebildet, können Nervenschäden entstehen, wie die Forscher in den neugeborenen Mäusen, bei denen das BACE1-Gen geblockt war, beobachteten. "Wir haben damit das Tor von der Entwicklungsbiologie zu den neurodegenerativen Erkrankungen aufgestoßen", sagt Dr. Garratt.

Nach Ansicht der Forscher dürfte die Hemmung von BACE1 im erwachsenen Tier keine große Auswirkung auf die Myelinisierung der peripheren Nerven haben, da das Neuregulin-1-Signalübertragungssystem nicht mehr für die Erhaltung der Myelinscheiden benötigt wird. Die Entschlüsselung der physiologischen Funktion von BACE1 sollte es jetzt aber ermöglichen, BACE1-Hemmer zu entwickeln, die ausschliesslich die Entstehung von Amyloid hemmen.

Originalveröffentlichung: M. Willem, A. N. Garratt, B. Novak, M. Citron, S. Kaufmann, A. Rittger, P. Saftig, B. DeStrooper, C. Birchmeier, C. Haass; "Control of Peripheral Nerve Myelination by the -Secretase BACE1"; Science 2006.

Weitere News aus dem Ressort Wissenschaft

Meistgelesene News

Weitere News von unseren anderen Portalen

Heiß, kalt, heiß, kalt -
das ist PCR!