Die vermeintlich Guten als Übeltäter entlarvt

Neue Hinweise auf schädliche Wirkung von Kortisonpräparaten in der Therapie solider Tumoren

03.05.2006

"Überwiegend kontraproduktiv", lautet das Resümee von Professor Ingrid Herr zur Wirkung von Glukokortikoiden, die häufig zur Milderung von Nebenwirkungen in der Krebstherapie eingesetzt werden. Wissenschaftler der Arbeitsgruppe Uroonkologie des Deutschen Krebsforschungszentrums und des Universitätsklinikums Heidelberg fanden in Untersuchungen an Zellkulturen und Mäusen neue Anhaltspunkte dafür, dass Glukokortikoide bei Zellen aus soliden Tumoren häufig zu einer Resistenz gegenüber einer Chemo- oder Strahlentherapie führen. Die Neigung einer bösartigen Geschwulst, Tochterzellen in andere Körperregionen zu streuen, ist offenbar beim Einsatz von Glukokortikoiden erhöht. Die Ergebnisse müssen nun in kontrollierten prospektiven Studien am Menschen überprüft werden.

Kortisonpräparate, die im Rahmen einer Krebstherapie eingesetzt werden, lösen in entarteten Zellen des blutbildenden Systems Apoptose aus. Zudem mildern die Medikamente Nebenwirkungen wie Übelkeit und Erbrechen und bewahren vor Ödembildung sowie Allergien gegen bestimmte Zytostatika. Zugleich schützen Glukokortikoide normales Körpergewebe vor schädlichen Nebeneffekten des Tumors. Diese Tatsachen haben den Medikamenten einen guten Namen beschert. Was für Blutkrebs gilt, wird bisher von führenden onkologischen Organisationen auch für die Therapie von Patienten mit Karzinomen empfohlen. Allerdings liegen für diesen Anwendungsbereich keine ausreichend kontrollierten Studien vor.

Mit einer breit gefächerten Untersuchung von Zellen aus gut einem Dutzend Krebsarten, darunter Tumoren der Lunge, Brust, Prostata, Darm, Bauchspeicheldrüse und des Nervengewebes, untermauert Ingrid Herr gemeinsam mit Ärzten des Heidelberger Universitätsklinikums nun einen Verdacht, der sich schon Mitte des Jahres 2003 abzeichnete. Bereits damals hatte die Wissenschaftlerin in Zusammenarbeit mit Ulmer und Heidelberger Kollegen gezeigt, dass Zelllinien aus Gebärmutterhals- und Lungentumoren bei gleichzeitiger Gabe von Glukokortikoiden deutlich schlechter auf eine medikamentöse Therapie oder Bestrahlung ansprechen. Dies führten die Forscher auf eine Veränderung des Apoptoseprogramms zurück. Aus bislang ungeklärten Gründen bewirken Wirkstoffe aus der Gruppe der Steroidhormone bei soliden Tumoren eine Blockade des programmierten Zelltods, bei bösartigen Blutzellen dagegen wird die Apoptose angeregt.

Die Heidelberger Forscher analysierten mehr als 150 Gewebeproben repräsentativer Krebsarten anhand von gängigen Zelllinien, frisch isolierten Zellen aus Tumorgeweben sowie anhand von Tumortransplantaten, die Mäusen eingepflanzt wurden. Es stellte sich heraus, dass über 85 Prozent der untersuchten Tumoren eine Resistenz entwickeln und damit unempfindlicher gegen zahlreiche getestete Krebsmedikamente und Bestrahlung werden, wenn Steroidhormone verabreicht werden. Die Wirkung war bei verschiedenen gängigen Glukokortikoiden sowie bei sehr niedrigen Konzentrationen zu beobachten und dauerte bereits nach einer einmaligen Dosis über einen längeren Zeitraum an. Zudem scheint es, dass die Tumoren unter diesen Bedingungen schneller wachsen.

Originalveröffentlichung: I. Herr, J. Pfitzenmaier; "Glucocorticoid use in prostate cancer and other solid tumours: implications for effectiveness of cytotoxic treatment and metastases"; Lancet Oncology 2006, 7, 425-426.

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