Von der Evolution vergessen?
Max-Planck-Wissenschaftler zeigen: Adulte Stammzellen sind möglicherweise nur Überreste der evolutionären Entwicklung
Als Basis für ihre Forschungsarbeit dienten den Wissenschaftlern aus der Arbeitsgruppe von Thomas Braun zwei Zelllinien aus mesenchymalen Stammzellen, die zuvor aus dem Knochenmark von Mäusen isoliert worden waren. Die Besonderheit an dem dabei verwendeten Verfahren war, auf die Zugabe von Wachstumsfaktoren zum Kulturmedium zu verzichten, um zu verhindern, dass sich die Zellen vorzeitig differenzieren. Dabei fanden die Bad Nauheimer Wissenschaftler heraus, dass sich die beiden Zelllinien in der Expression typischer Stammzell-Marker unterscheiden. Das lässt vermuten, dass mesenchymale Stammzellen eine heterogene Gruppe verschiedener Zellen mit ähnlichen Charakteristiken sind.
Wie erhofft, gelang es den Forschern dann, mit Hilfe von bestimmten Substanzen, diese Stammzelllinien dazu zu bringen, für Muskelzellen charakteristische Proteine zu exprimieren. Interessanterweise schlugen die Zellen einen Entwicklungsweg in Richtung Herzmuskelzellen ein, wenn ein besonderer Pfad, der so genannte wnt-Signalweg, stimuliert wurde. Im Gegensatz dazu ließen sich auf den Zellen bestimmte Eigenschaften von Skelettmuskelzellen nachweisen, wenn sie zuvor mit einem CDO genannten Protein stimuliert wurden.
Zwar waren bei beiden Ansätzen eine Reihe muskelspezifischer Gene in den Zellen aktiviert, was auf den Beginn eines Differenzierungsprozesses hinwies. Doch dieser blieb offenbar auf halbem Weg stehen. So zeigte sich beispielsweise nach Aktivierung des wnt-Signalwegs kein typisches Streifenmuster, was auf eine unvollständige Entwicklung des kontraktilen Apparats hinweist. Auch war die Expression von Marker-Genen für Kardiomyozyten, wie dem "Alpha-Myosin-Heavy-Chain"-Protein, lediglich nach einer weiteren so genannte epigenetische Reprogrammierung (eine vererbbare Modifikation der DNA ohne Veränderung der Basensequenz, z.B. die Methylierung einer Base) nachweisbar. Bei diesem Vorgang werden Teile der epigenetischen Festlegung einer Zelle gleichsam neu formatiert und stehen so externen Signalen für eine erneute Programmierung wieder zur Verfügung.
Bei der Differenzierung in Richtung Skelettmuskulatur wurden zwar ebenfalls charakteristische Eigenschaften sichtbar, doch es kam nie zur Ausbildung von echten, mehrkernigen Skelettmuskelzellen. Hingegen waren immerhin Fusionen zwischen den mesenchymalen Stammzellen und Skelettmuskelzellen zu beobachten.
Für ihre Forschungsergebnisse haben die Bad Nauheimer Max-Planck-Forscher zwei Erklärungen: Zum einen könnte in diesen Stammzellen ein Faktor fehlen, der für die vollständige Differenzierung in spezialisierte Zellen bzw. Gewebe unbedingt nötig ist. Zum anderen aber könnte zumindest für einige der bekannten adulten Stammzelltypen in Zukunft gelten, dass sie "nur" Rudimente aus früheren embryonalen Differenzierungsprozessen oder gar versprengte Überreste vergangener evolutionären Vorstufen sind. Zwar zeigen diese Zellen heute noch eine für Stammzellen charakteristische Plastizität, doch lässt sich daraus keine direkte physiologische Funktion ableiten.
Originalveröffentlichung: F. B.Bedada, A.Technau, H. Ebelt, M.Schulze, T. Braun; "Activation of Myogenic Differentiation Pathways in Adult Bone Marrow-Derived Stem Cells"; Molecular and Cellular Biology 2005, 9509-9519.
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