Heilung für das Sulfit-Desaster im Gehirn
Novartis-Preis für therapierelevante pharmakologische Forschung
Die Krankheit ist so selten wie tödlich: die "Molybdän-Cofaktor-Defizienz", ein angeborenes Stoffwechselleiden. Nun gibt es für die künftigen Neugeborenen erstmals eine Chance auf Heilung: Jochen Reiss und seine Kollegen haben die Ursache der Erkrankung entdeckt und gemeinsam mit Priv. Doz. Dr. Günter Schwarz von der Technischen Universität Braunschweig eine Therapie im Tierversuch erfolgreich getestet. Für diese potenzielle Heilungsmöglichkeit für eine zuvor tödliche Krankheit erhalten die Wissenschaftler den "Novartis-Preis für therapierelevante pharmakologische Forschung".
Etwa 14 Tage nach der Geburt beginnen die ersten Symptome der Krankheit: Die Babys wachsen nicht so gut wie andere Kinder ihres Alters, vor allem aber werden sie zunehmend von schweren Krämpfen heimgesucht. "Am Ende verkümmern die Nervenzellen des Gehirns", sagt Reiss. Die Ursache ist eine Ansammlung von Sulfit an, das vor allem das Gehirn überflutet und die Nervenzellen zerstört. Dem liegt ein Stoffwechseldefekt zugrunde: die Molybdän-Cofaktor- Defizienz (MCD). Den betroffenen Kindern fehlt der Molybdän-Co-Faktor (Moco). Den Cofaktor gentechnologisch zu produzieren, um den Mangel zu ersetzen, ist sinnlos, weil der Stoff ohne Bindung an ein Enzym sekundenschnell zerfällt.
Doch Reiss und Schwarz sehen andere Therapiechancen. Drei Schritte führen über diverse Zwischenprodukte zum fertigen Cofaktor. Entsprechend sind verschiedene Gene daran beteiligt, die im Erbgut von weltweit wohl tausend Menschen defekt sind. Ein Drittel der Patienten trägt ein defektes MOCS2-Gen in den Zellen, das die zweite Produktionsphase steuert. Den Schritt davor lenkt das MOCS1-Gen, das bei zwei Dritteln der Patienten mutiert ist.
Mit gentechnologischen Mitteln haben die Göttinger Forscher Mäuse mit defektem MOCS1- Gen gezüchtet. "Die Tiere entwickeln exakt die gleichen Symptome wie betroffene Menschen", sagt Reiss. Weil die Moco-Synthese in allen Lebewesen übereinstimmt, hatten sie damit ein ideales Modell für die menschliche Krankheit und für eine mögliche Therapie. Aus Bakterien isolierte Günter Schwarz in reiner Form das Zwischenprodukt aus Phase 1, das die Mäuse - und die meisten Patienten - nicht mehr bilden können. Zweimal wöchentlich injiziert, verwerteten es die Nager weiter zum fertigen Cofaktor.
Dass die Behandlung menschlichen Kindern das Leben rettet, ist so gut wie sicher. Weil das Leiden allerdings mit weltweit etwa 1000 Patienten extrem selten ist, findet sich kein kommerzieller Hersteller. Die Eigenproduktion des Therapeutikums in Braunschweig ist aufwändig und würde, so Reiss, "pro Patient jährlich 100.000 bis 200.000 Euro kosten." Unter anderem durch eine Spendenaktion haben die Wissenschaftler das Geld jetzt beisammen: "So können wir hoffentlich noch dieses Jahr ein erstes Kind behandeln."
Der "Novartis-Preis für therapierelevante pharmakologische Forschung" wurde 1992 von der damaligen Sandoz AG Nürnberg und der DGPT (Deutschen Gesellschaft für experimentelle und klinische Pharmakologie und Toxikologie e. V.) ins Leben gerufen. Die aus der Fusion von Sandoz mit Ciba-Geigy hervorgegangene Novartis Pharma GmbH Nürnberg unterstützt seither die Ausschreibung und Vergabe des Preises. Er wird alle zwei Jahre vergeben und ist mit 10.300 Euro dotiert. Ausgezeichnet werden Arbeiten, die eine Brücke schlagen zwischen pharmakologischer Grundlagenforschung und anwendungsorientierter klinischer Forschung.
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