Pharma: Entwicklungskosten reduzieren
IBM Studie prognostiziert mehr Innovation durch Nutzung neuer Technologien - 75 Prozent Einsparungspotenzial durch IT bei Medikamentenentwicklung
"Informationstechnologie spielt im Transformationsprozess der pharmazeutischen Industrie eine entscheidende Rolle", sagt Carsten Radtke, Leiter des Bereichs Life Sciences und Pharmaceuticals bei IBM Business Consulting Services in Zentraleuropa. "Um international ganz vorne mitzuspielen, müssen Pharmaunternehmen verstärkt in neue Technologien investieren. Damit können sie nicht nur ihren Unternehmenswert steigern, sondern sich auch klar von ihren Wettbewerbern absetzen."
Die Pharmabranche befindet sich angesichts der Erfolge in der Molekularwissenschaft derzeit in einem grossen Wandel. Mit Genetik, Genomik und Proteomik wird die Industrie in der Lage sein, Krankheiten genauer einzugrenzen und besser zu verstehen. Der Einsatz der neuen Schlüsseltechnologien ermöglicht es den Pharmaunternehmen darüber hinaus, zielgerichtete Behandlungsmethoden für Patienten mit spezifischen Krankheitszuständen zu entwickeln. Damit gehört das traditionelle 'eine-Pille-für-alles'-Medikamentenmodell der Vergangenheit an. Unternehmen, die "massgeschneiderte" Medikamente entwickeln, könnten dem IBM Bericht zufolge den Wert ihrer Aktien bis 2010 sogar verdreifachen.
Der IBM Branchenbericht "Pharma 2010: Silicon Reality" geht davon aus, dass die Entwicklungskosten für ein Medikament bis zur Markteinführung, auf durchschnittlich rund 200 Millionen US-Dollar reduziert werden können. Das entspricht einem Viertel der derzeitigen Durchschnittskosten einer Medikamenteneinführung. Einsparungen ergeben sich auch bei den Vorlaufzeiten: Diese können von durchschnittlich zwölf bis 14 Jahren auf drei bis fünf Jahre sinken. Ausserdem lassen sich die Therapieerfolge von der ersten Humandosis bis zur Markteinführung verbessern ebenso wie die Qualität bei den Entwicklungs- und Herstellungsprozessen.
Der IBM Bericht identifiziert sieben Schlüsseltechnologien, mit denen Pharmaunternehmen in den nächsten zehn Jahren den Return on Investment (ROI) ihrer Investitionen signifikant steigern können:
1. Petaflop und Grid Computing bringen der Branche Rechnerleistung in bislang unerreichtem Umfang. Bis 2006 wird eine neue Generation von Petaflop-Computern, zu denen auch IBM Blue Gene gehört, gross angelegte biomolekulare Simulationen wie Protein-Schichtungsstudien ermöglichen. Durch Grid Computing können Pharmaunternehmen zum Beispiel DNA-Sequenzpaarungen analysieren und Sequenzvergleichsalgorithmen ausführen. Schon heute gibt es mehrere Forschungs-Grids wie das Pockenforschungs-Grid, das über die Leistung von weltweit rund zwei Millionen zugänglicher PCs 35 Millionen Medikamentenkandidaten analysiert hat.
2. Prädiktive Biosimulation umfasst den Einsatz hochmoderner Computermodelle, mit denen ein Biosystem simuliert werden kann. Die Zahl der erforderlichen Laborexperimente verringert sich demzufolge. signifikant. Die so genannte "in silico"-Modellierung (im Gegensatz zu "in vitro" - im Reagenzglas oder "in vivo" - am lebenden Objekt) ermöglicht es Forschern darüber hinaus, die Auswirkungen von Medikamenten auf den menschlichen Körper einschliesslich ihrer Wirksamkeit und Sicherheit vorherzusagen. Derzeit arbeitet eine Reihe akademischer Institute am Aufbau von Rechenmodellen, so auch das "Center for Cell and Virus Theory" an der Universität von Indiana, USA.
3. Pervasive Computing - kleine tragbare Geräte, mobile Telekommunikationsanwendungen und drahtlose Technologien werden die Medikamentenentwicklung und die Realisierung von Projekten im Gesundheitssektor verändern. Diese Anwendungen erleichtern die Übertragung und Erfassung biologischer Daten auf Echtzeitbasis ausserhalb der klinischen Umgebung. Solche Technologien können nicht nur Patienten überwachen und unterstützen, sondern auch - unabhängig von Ort und Zeit - zur Erprobung neuer Medikamente und Gesundheitsdienstleistungen eingesetzt werden. Ein Beispiel ist die Firma Given Imaging mit ihrer Digitalkamera, die so klein ist, dass sie geschluckt werden kann. Aus der Feder von Bang und Olufsen stammt eine elektronische Pillenschachtel, die den Patienten pünktlich daran erinnert, seine Medizin einzunehmen.
4. Radio Frequency Identification (RFID) Tags ermöglichen die Identifikation physischer Objekte an jedem beliebigen Punkt im Herstellungs- und Vertriebsprozess. Mit dem Einsatz von RFID-Etiketten lassen sich zukünftig Herstellungsabläufe optimieren. Pharmaunternehmen können so zum Beispiel eine grössere Anzahl an komplexen, in kleinen Mengen hergestellten Produkten anbieten. Darüber hinaus erleichtern RFID-Tags die Einhaltung behördlicher Vorgaben, da die pharmazeutischen Erzeugnisse an jedem Punkt der Lieferkette überwacht werden können.
5. Erweiterte Speicherlösungen: Hochmoderne neue Speicher-Server, virtuelle Speichernetze und Content-Management-Systeme werden es der Pharmabranche ermöglichen, die riesige Menge anfallender Daten zu verwalten und den strikten Vorgaben der amerikanischen Behörde FDA (Food and Drug Administration), der Wertpapier- und Börsenaufsicht sowie anderer Regulierungsbehörden besser und schneller nachzukommen.
6. Prozessanalytische Technologie (PAT) erlaubt den Pharmaunternehmen, ihre Fertigungsprozesse laufend und automatisch in Echtzeit zu überwachen. Zwischengeschaltete Stichproben und Qualitätskontrollen im Anschluss an die Herstellung können damit ersatzlos gestrichen werden. Mit dem Einsatz von PAT lassen sich die Fertigungsqualität optimieren und Ausgaben senken, da es kostengünstiger ist, eine Fertigungslinie sofort zu korrigieren als Produkte auszusondern, die ausserhalb der vereinbarten Toleranzen liegen. Die neuen Bestimmungen der FDA zu Fertigungsrichtlinien werden darüber hinaus erhebliche Investitionen in PAT notwendig machen.
7. Web Mining und erweiterte Textanalyseverfahren nutzen intelligente Algorithmen, um alle im Internet vorhandenen digitalen Informationen unmittelbar bei deren Verfügbarkeit zu sichten. Mit dieser neuen Generation von Daten- und Text-Mining-Tools können Pharmaunternehmen relevante Informationen schnell und effizient aus enormen Mengen an Forschungsdaten extrahieren. Mit Web Mining lassen sich unter anderem potenzielle Ziele für weitere Studien auswählen, Trends identifizieren, eine aktivere Arzneimittelsicherheit realisieren und Krisen vorhersagen.