Experten fordern mehr Forschungsmittel für Wirksamkeitsstudien zur Psychotherapie

Bei manchen Krankheiten effektiver als Psychopharmaka

28.05.2003

Die Behandlung psychiatrischer Erkrankungen beschränkt sich längst nicht mehr auf Medikamente: Psychotherapeutische Verfahren werden, oft mit gutem Erfolg, bei praktisch allen psychischen Erkrankungen eingesetzt, meist ergänzend zur Behandlung mit Psychopharmaka. Zwar liegen umfangreiche klinische Erfahrungen mit psychotherapeutischen Verfahren vor, jedoch gibt es bislang nur wenige wissenschaftliche Studien, die ihre Wirksamkeit überprüft haben. Folglich erstatten die Krankenkassen nur bei wenigen ambulant praktizierten Verfahren die Kosten. Die Nachfrage der Patienten ist groß, denn bei ihrem stationären Aufenthalt konnten sie meist von der Anwendung psychotherapeutischer Verfahren profitieren.

Bei der 3. Europäischen Psychotherapie-Konferenz, die vom 29. Mai bis 1. Juni in Heidelberg stattfindet und von der Gesellschaft Europäischer Psychiater veranstaltet wird, befassen sich Psychiater und Psychologen schwerpunktmäßig mit den Fragen: Welche wissenschaftlichen Beweise liegen für die Wirksamkeit der verschiedenen psychotherapeutischen Verfahren vor? Gibt es neue Methoden und Techniken, die für die Erkrankung schwerer psychischer Erkrankungen wie Depression, Schizophrenie oder bei psychosomatischen Störungen wie der Magersucht künftig von Bedeutung sein könnten?

Wissenschaftlicher Beirat entscheidet über Erstattungsfähigkeit

"Für die Erforschung der Wirksamkeit von Psychotherapie stehen nicht ausreichend finanzielle Mittel zur Verfügung", erklärt Prof. Dr. Christoph Mundt, Ärztlicher Direktor der Psychiatrischen Universitätsklinik Heidelberg und Gastgeber des Kongresses, der in der Heidelberger Stadthalle stattfindet. Während für die Erprobung neuer Psychopharmaka jährlich dreistellige Millionensummen eingesetzt würden, müsse die Psychotherapieforschung mit einem Bruchteil der Mittel auskommen und würde fast ausschließlich von staatlichen Geldgebern gefördert. Dabei gingen auch die klinischen Medikamentenstudien zu Lasten der Allgemeinheit, denn letztlich würden sie über die Arzneimittelpreise von den Krankenkassen finanziert. Prof. Mundt weist ausdrücklich auf die Notwendigkeit dieser Arzneimittelstudien hin, fordert aber gemeinsam mit seinen europäischen Kollegen ein höheres und breiteres Förderengagement im Bereich der Psychotherapie-Forschung.

In Deutschland entscheidet seit einigen Jahren der Wissenschaftliche Beirat Psychotherapie der Bundesärztekammer anhand wissenschaftlicher Kriterien, ob ein ambulantes Verfahren von den Krankenkassen erstattet wird. Diesen Status konnten bislang nur die Verhaltenstherapie, die Psychodynamische Psychotherapie und die Gesprächspsychotherapie erlangen. Andere Psychotherapien wie Familien- und Kunsttherapie werden zwar in vielen Kliniken praktiziert, auch bei Patienten, die an somatischen Erkrankungen wie Rheuma oder orthopädischen Behinderungen leiden, und als staatlich anerkannte Ausbildung angeboten, ihre Erstattungsfähigkeit ist jedoch nicht gesichert.

Die Chancen, dass eine Wirksamkeitsüberprüfung methodisch gelingen könne, stehen indes nicht schlecht. Prof. Mundt weist darauf hin, dass die Verbindung mit neurobiologischen Verfahren zu beeindruckenden Erkenntnissen beim Wirksamkeitsnachweis geführt habe: So konnte mit Hilfe der Positronen-Emmissions-Tomographie gezeigt werden, dass Verhaltenstherapie die gesteigerten Aktivitäten bestimmter Hirnregionen genauso vermindern kann wie Pharmakotherapie, und dies oft nachhaltiger, als dies die schneller wirkenden Medikamente vermögen. Auch neue Analysetechniken untermauern den Effekt der Psychotherapie: Änderungen im emotionalen Wechselspiel zwischen der depressiv gestimmten Mutter und ihrem Kind lassen sich mit Hilfe von Videoaufnahmen minutiös aufzeichnen. Diese Dokumentation wird ergänzt durch Messungen von physiologischen Parametern.

Auch geisteswissenschaftliche Methoden können Wirksamkeit prüfen

Naturwissenschaftliche Kriterien sind nicht immer in der Lage, die Wirksamkeit eines Verfahrens umfassend zu prüfen. Prof. Mundt plädiert für die Einbeziehung geisteswissenschaftlicher Verfahren bei der Beschreibung und Bewertung von Subjektivitätserleben der Motivation, der Identität oder des freien Willens, was z.B. bei psychotischen Erkrankungen gestört ist. Auch Kunst- und Musiktherapie sind geisteswissenschaftlichen Methoden zugänglich; Musikerleben aber auch neurobiologischen Methoden, wie der Festvortrag von Prof. Manfred Spitzer vom Universitätsklinikum Ulm bei der Eröffnungsveranstaltung zeigen wird.

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