Der unsichtbare "Fingerabdruck"

Rechtsmediziner der Universität Leipzig erarbeiten Gen-Tests für BKA-Archiv

08.05.2003

Der regelmäßige Kriminalfilm-Zuschauer kennt längst das Ass, das Ermittler aus dem Ärmel ziehen: der Gen-Test. Spätestens, wenn der ausgewertet wird, kommt der Verdächtige ins Zittern oder kann - aufatmen. Dabei wird diese Analyse von den Drehbuchautoren durchaus nicht überbewertet. Seit fünf Jahren leistet die DNS-Analysedatei des Bundeskriminalamtes bedeutsame Dienste bei der Verbrechensbekämpfung. Auch das Institut für Rechtsmedizin der Medizinischen Fakultät der Universität Leipzig arbeitet der BKA-Datei zu - Anlass für ein Gespräch mit Institutsdirektor Prof. Dr. Werner Johann Kleemann.

Voll des Lobes war Bundes-Innenminister Otto Schily kürzlich in seiner Rede anlässlich des fünfjährigen Bestehens der DNS-Analysedatei des Bundeskriminalamtes. Allein im Jahre 2002 seien mit Hilfe der dort gespeicherten Daten 66 Morde, 135 Sexualstraftaten und mehr als 3.000 Diebstähle aufgeklärt worden. Die Datei umfasst zurzeit mehr als 265.000 Datensätze, jeden Monat kommen 6.000 bis 7.000 hinzu.

Was aber geschieht genau, wenn solch ein DNS-Test durchgeführt wird? Für die Untersuchung benötigt man ein "Stück" des zu analysierenden Menschen, und sei es noch so winzig. Dabei kann es sich unter anderem um Blutspuren, Haare, Speichelreste oder Sperma handeln. Sollen große Gruppen potentieller Täter auf wirklich Verdächtige eingegrenzt werden, hat sich die Methode bewährt, mit einem Wattetupfer ein paar Zellen von der Mundschleimhaut abzutragen. Das ist, anders als bei der Blutentnahme, eine völlig schmerzlose Variante. Im Vergleich zur Verwendung von Partikeln der äußeren Haut oder des Haares ist im Mund zudem die Gefahr geringer, fremde DNS zu erwischen. Sind am Tatort keine sichtbaren Sputen vorhanden, bleibt dem Kriminalisten nur, sich in die Handlungen des Täters hineinzudenken: Welche Türklinke könnte er gedrückt, welches Kleidungsstück getragen, welchen Gegenstand in der Hand gehalten haben? Von diesen Stellen werden dann mit einem Wattetupfer Abriebspuren genommen.

Um das weitere Schicksal der von Wattestäbchen, Türklinke oder Kleidungsstück geborgenen Zellen zu verstehen, muss man sich die Struktur der menschlichen DNS- (Desoxyribonucleinsäure- )Kette (englisch: DNA), also des Chromosoms vor Augen führen. Diese Kette besitzt vier verschiedene Einzelbausteine, deren Reihenfolge einen Code für den Bau von Proteinen ergibt. Jedes Protein wird von einer bestimmten Region dieser Kette codiert. Diese Region bezeichnet man als Gen. "Um zu untersuchen, ob jene Person, von der Probe A stammt, identisch ist mit der Person, von der Probe B stammt, analysieren die Rechtsmediziner allerdings nicht die Gene. Das ist zum Beispiel die Aufgabe der Humangenetiker, die Erbkrankheiten erforschen," so Kleemann. Insofern brauche auch kein Teilnehmer eines freiwilligen Test zu befürchten, dass Informationen über seinen physischen oder psychischen Gesundheitszustand registriert und beispielsweise von Arbeitgebern einsehbar werden. Rechtsmediziner betrachten nur die sogenannten nichtkodierten Abschnitte. Das sind die Stücke zwischen den Genen. Hier sind Basen ohne bekannte Funktion aneinandergereiht. Aber diese Aneinanderreihung ist ebenfalls personenspezifisch. Wird sie richtig zugeordnet, hat der Tatbeteiligte seinen "Fingerabdruck" hinterlassen.

Die Aufgliederung und der Vergleich der entsprechenden DNS-Abschnitte geschieht in einem Sequenzier-Gerät. In diesem Gerät wird die DNS mittels eines elektrischen Feldes (durch Elektropherese) aufgetrennt und abschnittsweise sortiert. Die längeren Segmente lagern sich anders ab als die kürzeren. Es einsteht eine sogenanntes Muster. Diese Muster - dargestellt als Strichcode oder als Kurve - können dann miteinander verglichen werden. Die biochemische Aufgabenstellung wird nun zur statistischen. Die Untersuchung eines einzelnen Abschnitts schließt jeweils einen bestimmten Prozentsatz der Bevölkerung bzw. der potentiellen Täter aus. Diese Analyse wird acht bis zwölfmal durchgeführt und beleuchtet dabei jeweils einen anderen Abschnitt. Mit jedem Schritt werden aus der geschrumpften Menge der Möglichkeiten weitere diskriminiert, also ausgeschlossen. So ergibt sich beispielsweise bei Vaterschaftstests ein über 99- prozentig sicheres Ergebnis. Wenn dies dann mit anderen Gutachten und Aussagen zusammen auf dem Tisch des Gerichtes liegt, ist das sehr aussagestark. Solch ein Test kostet zwischen 50 und 600 Euro, je nachdem, ob eine komplizierte Spurensuche erforderlich ist oder ob ein Massen-Test erfolgt.

Während die DNS in den rechtsmedizinischen Instituten untersucht wird, hat der Mensch, zu dem sie gehört, keinen Namen, sondern nur eine Nummer. Erst im BKA-Archiv wird diese Anonymität wieder aufgelöst. Bei Massentests, der umfangreichste der Bundesrepublik umfasste 18.000 Menschen, werden auf Beschluss der Staatsanwaltschaft die Daten nach dem Prozess zumeist wieder gelöscht. "Das halte ich für überdenkenswert", so Kleemann. "Zum einem kann es zu einer Konstellation kommen, dass gespeicherte Daten nicht nur die Schuld, sondern auch die Unschuld eines Angeklagten beweisen. Zum anderen hat es sich gezeigt, dass je mehr Daten vorhanden sind, die Möglichkeit steigt, erneut aufgerollte ältere Fälle zu lösen. Aber als Wissenschaftler tut es mir auch leid, wenn so ein umfangreiches und teures Datenmaterial vernichtet wird, das ja auch für großflächige anonymisierte statistische Untersuchungen zur DNS-Verteilung in der Bevölkerung verwendet werden könnte."

Zu den Forschungen in Sachen DNS-Analyse, die derzeit am Institut für Rechtsmedizin der Medizinischen Fakultät der Universität Leipzig stattfinden, zählten Untersuchungen des X- bzw.Y- Chromosoms. Diese nur bei Frauen bzw. nur bei Männern vorkommenden Zellstrukturen, helfen beispielsweise bei der Spurenzuordnung nach einer Vergewaltigung.

Und noch ein Hinweis für Krimi-Zuschauer: Wenn im Film die Ermittler die Rechtsmediziner drängen, sie mögen sich doch mit dem Gen-Test beeilen, so ist deren Wunsch in der Praxis nur begrenzt zu erfüllen. "Selbst wenn wir alles andere stehen und liegen lassen", erläutert Kleemann, "zwei bis drei Tage benötigen wir bei bestem Willen für eine exakte Untersuchung der DNS. Bei komplizierten Fällen, in denen die DNS beschädigt wurde, kann es auch erheblich länger dauern."

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