Hoffnung auf den großen «Gen-Jackpot» auf Island blieb unerfüllt

15.04.2003

Reykjavik - Vom «Gen-Jackpot» will auf Island niemand mehr etwas hören. Vor fünf Jahren fiel auf der Insel im Nordatlantik der Startschuss zur weltweit ersten kommerziellen Gendatenbank einer kompletten Bevölkerung. Bitter bereut haben es inzwischen tausende der Wikinger-Nachfahren, dass sie in der Hoffnung auf das große und schnelle Geld aus den Biotech-Labors des heimischen Neurologen Kári Stefánsson und seiner Firma DeCODE Genetics massenhaft Aktien zu einem Kurs von bis zu 65 Dollar (60 Euro) gekauft haben. Heute dümpelt die DeCODE-Aktie an der Nasdaq-Börse bei 2,20 Dollar vor sich hin.

Mitte der 90er Jahre öffneten sich in Erwartung ganz anderer finanzieller Entwicklungen verblüffend viele Tore. Der Zweimeter-Mann Stefánsson konnte die Regierung seines Schulfreundes David Oddsson überreden, ihm ein privates Monopol auf die kommerzielle Auswertung des gesamten in Island verfügbaren Bestandes an Gendaten zu überlassen.

Stefánssons Beweggründe: Die Inselbevölkerung ist weitgehend isoliert und die Erbanlagen damit homogen. Bei den meist eifrig in der eigenen Vergangenheit forschenden Familien existieren Ahnentafeln, die teilweise bis ins 11. Jahrhundert zurückreichen. Und es gibt umfassende Krankenakten, zum Teil noch aus dem 19. Jahrhundert. Damit verfüge Island über ein in der Welt einzigartiges Datenfundament, um Gene als Ursachen von weit verbreiteten Krankheiten ausfindig zu machen.

Zwölf davon benannte der für seine hemmungslosen Wutausbrüche berüchtigte Stefánsson und sparte nicht mit großen Worten über zu erwartende Mittel gegen Alzheimer, Schizophrenie, Alterungsprozesse oder Herzkrankheiten. Das fanden die Gesetzgeber im Reykjaviker «Althingi» so verlockend, dass sie ihm pauschal das exklusive Recht zur kommerziellen Auswertung aller isländischen Ahnentafeln sowie aller in Krankenhäusern und Arztpraxen vorhandenen Patientendateien garantierte. Nur bei einer dritten Datenbank mit DNA-Schnipseln von lebenden Isländern benötigt DeCODE eine Einverständniserklärung. Ansonsten aber sind alle 288 000 Inselbürger automatisch dabei.

90 000 von ihnen haben bisher freiwillig ihr Erbgut analysieren lassen. Das früher als Herzstück angekündigte Zentralregister mit allen isländischen Patientendaten muss erst noch einen Sicherheitstest durchlaufen, ehe es überhaupt in Angriff genommen werden kann. DeCODE verkündet auf seiner Website, man habe bereits krankheitsrelevante Gene isoliert, darunter für Alzheimer. «Am weitesten sind wir bei Schizophrenie» erklärt Pressesprecher Edward Farmer. Verkauft werden die DeCODE-Gendaten an Pharma-Großkonzerne wie Roche, Merck und AstraZeneca.

Die in der Organisation Mannvernd (Menschenschutz) zusammengeschlossen DeCODE-Kritiker auf Island kämpfen weiter gegen die aus ihrer Sicht grobe Vernachlässigung des Datenschutzes. DeCODE gehe «wie mit einem großen Staubsauger» über die Bevölkerung und klaube private Informationen auf, meint Tomas Zoega, Chef der Psychiatrie am Universitätsklinikum von Reykjavik. Er gehört zu 171 der insgesamt 800 isländischen Mediziner, die die vom Gesetz geforderte Weitergabe von Patientendaten an DeCODE verweigern. Im Magazin «brand eins» kritisierte er: «Wir behandeln Leute wie Mäuse, die in einem isolierten Labor gehalten werden, damit sie als Abenteuerspielplatz für Biotech-Konzerne ausgeschlachtet werden können.»

In den Chor der Kritiker reihte sich kürzlich sogar Klaus Lindpaintner vom für Decode finanziell lebenswichtigen Roche-Konzern ein. «Roche distanziert sich aber ausdrücklich von der isländischen Biobank», berichtete das Deutsche Ärzteblatt im November über einen Auftritt des Genforschungschefs auf einer Berliner Tagung.

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