Klumpen als Zwischenlager: Zellen können Proteinaggregate wieder auflösen

Sowohl Bildung als auch Auflösung von Aggregaten ist ein wichtiger Mechanismus von Zellen

10.10.2017 - Schweiz

ETH-Forscher haben entdeckt, dass die Bildung von Protein-Aggregaten in Hefezellen umkehrbar ist. Das wirft auch ein neues Licht auf Krankheiten des Menschen, die auf solche Aggregate zurückgeführt werden.

Gruppe Matthias Peter / ETH Zürich

Hefezellen ohne Proteinaggregate (links) und solche mit (hell leuchtende Punkte): In Hungerzeiten dienen solche Klumpen als Zwischenlager für Proteine.

Proteinaggregate haben einen schlechten Ruf: Etliche Krankheiten des Menschen, insbesondere solche des Nervensystems wie Alzheimer, Parkinson oder Amyotrophe Lateralsklerose (ALS) sind darauf zurückzuführen, dass sich in den Nervenzellen entartete Proteine zusammenlagern und so Aggregate entstehen, welche die Zellen nicht auflösen können. Dadurch sterben die Zellen ab.

In einer Studie bei Hefezellen rücken Forscher um ETH-Professor Matthias Peter und Reinhard Dechant nun aber Proteinaggregate in ein neues Licht. Die entsprechende Arbeit ist in der Fachzeitschrift «Nature Cell Biology» erschienen. Die ETH-Wissenschaftler zeigen darin auf, dass sich solche Proteinklumpen in Hefezellen bei Stressfaktoren wie Nahrungsentzug oder Hitze bilden. Nach überstandenem Stress können die Zellen die Aggregate wieder auflösen und die einzelnen Bestandteile rasch rezyklieren und im Zellstoffwechsel einsetzen.

Bei Stress bilden sich Klumpen

Als Beispiel für ein Protein, das bei Stress zusammenklumpt, entdeckten die Forscher das Enzym Cdc19. Es stellt für die Zelle Energie bereit. Die Forscher fanden heraus, dass Cdc19 bei Entzug von Glucose in seine vier identischen Untereinheiten zerfällt. Diese verändern dann ihre ursprüngliche Form und lagern sich mit weiteren Molekülen wie Ribonukleinsäuren oder anderen Enzymen in Aggregaten zusammen. Die Forscher nennen solche Klumpen Stresskörperchen (engl. stress granules). Einmal in ein solches Aggregat eingebunden, wird Cdc19 inaktiv, und es ist nicht mehr in der Lage, Brennstoff für die Zelle zu erzeugen. Während dieser Zeit kann die Zelle weder wachsen noch sich vermehren.

Der Vorgang ist jedoch umkehrbar. Sobald der Stress vorbei ist, lösen sich die Stresskörperchen auf, die vier Untereinheiten von Cdc19 lagern sich zusammen, sodass das Enzym seine Arbeit im Zuckerstoffwechsel wiederaufnehmen kann.

Die Klumpen haben also einen klaren Zweck, sagt Matthias Peter: «Die Hefezelle benutzt Aggregate als eine Art Lagerstätte für wichtige Enzyme, damit diese in Stresssituationen nicht abgebaut und nach überlebtem Stress sofort reaktiviert werden können.» Die Aggregate würden diese Moleküle vor dem Abbau durch die zelleigene Entsorgungsmaschinerie schützen. Müsste die Zelle diese Verbindungen nach jeder Stresssituation von neuem aufbauen, würde dies die Zelle viel Zeit und Energie kosten.

Einfache Sequenz reicht für Verklumpung aus

Die Forscher klärten zudem auf, wie und weshalb Cdc19 verklumpen kann. Sie identifizierten in der Struktur einer Cdc19-Untereinheite einen kurzen, ungefalteten und einfach aufgebauten Teilbereich. In der Fachsprache werden solche Bereiche «Low Complexity Regions» (LCR) genannt. Sie kommen laut den Forschern auch in anderen aggregatbildenden Proteinen weiterer Organismen vor, unter anderem auch beim Menschen.

«Die LCR werden durch den Zerfall des Enzymkomplexes exponiert und lösen die Aggregation aus», weiss Peter. «Für uns war es deshalb wichtig, eine solche Sequenz bei Cdc19 ausfindig zu machen. Das bestätigt einen allgemeinen Mechanismus.» Bei der Hefe ist die LCR von Cdc19 im Normalzustand versteckt oder trägt mehrere Phosphatgruppen, welche die LCR «handlungsunfähig» machen. Erst bei Ernährungsstress tritt die LCR hervor, und die Phosphatgruppen werden entfernt. Erst dann können sich Aggregate bilden.

Wichtige Erkenntnis

«Unsere Forschung hat in der Wissenschaftsgemeinschaft für eine Aufbruchstimmung gesorgt», sagt Reinhard Dechant, Gruppenleiter am Institut für Biochemie, der die Studie zusammen mit Matthias Peter leitete. Bislang habe man vor allem Aggregate als krankmachende Partikel betrachtet, weil man in Patienten stets nur das Ergebnis des Vorgangs – unauflösbare Proteinplaques, welche eine Krankheit verursachen – sehe. «Unsere Arbeit beleuchtet auch den Anfang der Aggregatbildung und deren Verlauf», sagt Dechant. Proteinklumpen würden sich nicht ausschliesslich aufgrund einer Krankheit bilden, sondern weil die Zelle diese brauche, um eine Stresssituation zu überleben. «Wir konnten zum ersten Mal zeigen, dass sowohl die Bildung als auch die Auflösung von Aggregaten ein wichtiger Mechanismus von Zellen ist.»

Zu ähnlichen Erkenntnissen gelangten früher auch andere Forschungsgruppen der ETH Zürich, die solche Aggregate in Hefezellen untersuchen. So konnten andere ETH-Wissenschaftler aufzeigen, dass Klumpen aus entarteten Proteinen unter anderem wie ein Gedächtnis funktionieren und den Zellen helfen, vergangene (negative) Erfahrungen abzuspeichern (ETH-News berichtete). Es scheint daher, dass die funktionelle Aggregation von bestimmten Proteinen ein weitverbreiteter Regulationsmechanismus darstellt.

Originalveröffentlichung

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