Scharfe Röntgenblitze aus dem Atomkern

Mit einem mechanischen Trick lässt sich das Spektrum der Pulse zum Vorteil vieler Anwendungen schärfen

11.08.2017 - Deutschland

Röntgenlicht macht das Unsichtbare sichtbar: Sie erlauben die atomgenaue Aufklärung, wie Materialien aufgebaut sind, in den 1950er-Jahren enthüllten sie etwa die der Doppelhelix-Struktur des Erbgutmoleküls DNS. Mit neuen Röntgenquellen wie dem Freie-Elektronen-Laser XFEL in Hamburg lassen sich sogar chemische Reaktionen filmen. Untersuchungen mit den neuen Röntgenquellen könnten künftig sogar noch genauere Ergebnisse liefern. Ein Team um Kilian Heeg, Forscher des Max-Planck-Instituts für Kernphysik in Heidelberg, haben nun eine Methode gefunden, das Spektrum der Röntgenpulse, das diese Quellen abgeben, zu schärfen. Gewöhnlich senden die Röntgenquellen, im Gegensatz zu herkömmlichen Lasern, die einfarbiges Licht erzeugen, Pulse mit breiten Spektren verschiedener Wellenlängen aus. Dank der geschärften Pulse  werden mit den Quellen auch Anwendungen möglich, für die sich das Röntgenlicht bislang nicht eignete. Dazu gehören Tests fundamentaler Naturkonstanten und noch präzisere Längen- oder Zeitmessungen, als sie heute schon möglich sind.

© DESY, Hamburg

Upgrade für den Röntgenlaser: Mit einem mechanischen Trick lässt sich das Spektrum der Pulse, die etwa der hier in einer Illustration dargestellte Freie-Elektronen-Laser XFEL abgibt, schärfen. Auf diese Weise dürften mit Röntgenlasern Experimente möglich werden, für die sie sich andernfalls nicht geeignet hätten, zum Beispiel Tests, ob die Naturkonstanten wirklich konstant sind.

Um neue Materialien für die Elektronik oder den Einsatz in Autos, Flugzeugen oder den unterschiedlichen Kraftwerken zu entwickeln, nutzen Forscher Licht und andere elektromagnetische Wellen ebenso wie bei Untersuchungen von Proteinen und deren Funktion. Und auch um chemische Reaktionen und physikalische Prozesse in der Mikro- und Nanowelt zu beobachten, sind elektromagnetische Wellen das Mittel der Wahl. Denn in unterschiedlichen Spielarten der Spektroskopie regen einzelne Wellenlängen der Strahlung bestimmte Komponenten einer Struktur zum Schwingen an. Welche Wellenlängen mit der Struktur wechselwirken – Physiker sprechen von einer Resonanz –, verrät etwas über deren Zusammensetzung und Aufbau; zum Beispiel, wie Atome in einem Molekül räumlich angeordnet sind.

Anders als das viel energieärmere sichtbare Licht können Röntgenstrahlen nicht nur in Resonanz mit der Elektronenhülle eines Atoms treten, sondern auch mit seinem Atomkern. Röntgenspektroskopie bietet daher einen anderen Blickwinkel auf die Materie und somit eine zusätzliche Wissensquelle. Die Resonanzen von einigen Atomkernen sind zudem besonders scharf und ermöglichen daher im Prinzip äußerst präzise Messungen.

Röntgenquellen erzeugen ultrakurze Blitze mit breitem Spektrum

Röntgenquellen wie der Freie-Elektronen-Laser XFEL in Hamburg, oder die Synchrotronquellen PETRA III (Hamburg) und ESRF in Grenoble eignen sich wegen der hohen Intensität ihres Röntgenlichts besonders gut für solche Untersuchungen. Insbesondere die Freie-Elektronen-Laser sind jedoch darauf optimiert, sehr kurze Röntgenblitze zu erzeugen, in erster Linie, um besonders schnelle Vorgänge in der mikroskopischen Welt von Atomen und Molekülen zu untersuchen. Kurze Pulse enthalten allerdings naturgemäß ein breites Wellenlängenspektrum. Daher tritt nur ein kleiner Teil des Lichtes in Resonanz mit einer Probe. Der Rest geht ungenutzt durch die Probe, was die Spektroskopie insbesondere von scharfen Resonanzen ineffizient macht.

Durch den Einsatz von Filtern könnte man zwar ein sehr scharfes Röntgenspektrum erzeugen – also Röntgenlicht einer Wellenlänge –, doch weil man dabei ohnehin ungenutzte Wellenlängen entfernt, bleibt das Resonanzsignal schwach.

Die neue Methode der Heidelberger Wissenschaftler hingegen verstärkt das Resonanzsignal um das drei- bis vierfache. Kilian Heeg und Jörg Evers aus der Abteilung von Christoph Keitel sowie ein Team um Thomas Pfeifer vom Max-Planck-Institut für Kernphysik in Heidelberg haben es, gemeinsam mit Forschern vom DESY in Hamburg und der ESRF in Grenoble, geschafft, dass ein Teil des Lichtes, der normalerweise nicht mit der Probe wechselwirkt, zum Resonanzsignal beiträgt. Ihre Methode haben sie an der ESRF in Grenoble und bei PETRA III am DESY in Hamburg an Atomkernen von Eisen erfolgreich getestet.

Ein winziger Ruck führt zur Verstärkung des Lichts

Die Forscher setzen mit der Lichtverstärkung dort an, dass die Röntgenstrahlung bei der Resonanz mit den Eisenkernen wie auch mit jedem anderen Atomkern verzögert wird, bevor sie wieder emittiert wird. Sie eilt dann genau eine halbe Wellenlänge hinter dem durchgelassenen Licht her. Das bedeutet, dass Wellenberge der einen exakt auf die Wellentäler der anderen Welle treffen und sich gegenseitig auslöschen. Diese destruktive Interferenz schwächt die Röntgenpulse bei der Resonanz ab.

„Wir nutzen das Zeitfenster von etwa 100 Nanosekunden, bis die Eisenkerne das Röntgenlicht wieder abgestrahlt haben“, erklärt Projektleiter Jörg Evers den Trick seines Teams. Binnen dieser Zeit versetzen die Heidelberger Forscher die Eisenfolie um etwa 40 Milliardstel Millimeter (0,4 Angström). Der winzige Ruck hat zur Folge, dass emittierte und durchgelassene Lichtwellen konstruktiv interferieren: „Das ist wie beim Zusammentreffen von zwei Flüssen“, erklärt Evers, „auf denen Wellen laufen, die um eine halbe Wellenlänge gegeneinander versetzt sind, und man verschiebt den einen Fluss um genau diese Strecke“. Das bewirke, dass die Wellen der beiden Flüsse nach dem Zusammentreffen im Takt laufen. Wellenberge treffen auf Wellenberge und die Wellen verstärken sich, statt sich zu schwächen. Der Trick wirkt sich aber nicht nur auf Licht mit der Resonanzwellenlänge sondern, sondern mit umgekehrtem Effekt auch auf Wellenlängen in einem breiteren Bereich um die Resonanzwellenlänge herum, die dadurch abgeschwächt werden. „Wir quetschen ansonsten ungenutztes Röntgenlicht in die Resonanz“, formuliert es Kilian Heeg.

Damit die Physiker die Eisenfolie schnell und präzise genug versetzen konnten, montierten sie diese auf einen so genannten Piezo-Kristall. Das ist ein Festkörper, der auf eine elektrische Spannung blitzschnell mit einer winzigen Ausdehnung reagiert. Durch ein speziell entwickeltes Computerprogramm gelang es den Heidelberger Forschern, das elektrische Signal, das den Piezo-Kristall ansteuert, so zu optimieren, dass eine maximale Verstärkung des Resonanzsignals resultierte.

Anwendungen bei der Längenmessung und in Atomuhren

Für ihre neue Methode sehen die Physiker ein großes Anwendungspotenzial. Mit dem Verfahren lasse sich die Nutzung neuer leistungsstarker Röntgenquellen auf die hochauflösende Röntgenspektroskopie ausweiten, sagt Thomas Pfeifer. Was in Atomen und Molekülen geschieht, könnte sich so dann schärfer abbilden lassen. Pfeifer hebt zudem die Metrologie als Anwendungsfeld hervor, insbesondere die höchst präzise Messung von Längen und die quantenmechanische Definition der Zeit. „Man kann Längen mit Röntgenstrahlung 10000 Mal genauer messen als mit sichtbarem Licht“, sagt Pfeifer. So ließen sich Nanostrukturen wie etwa Computerchips oder neu entwickelte Batterien untersuchen und optimieren. Pfeifer kann sich zudem Röntgen-Atomkernuhren vorstellen, die noch sehr viel genauer gingen als die modernsten optischen Atomuhren.

Nicht zuletzt könnte sich mit Hilfe effizienter Röntgenspektroskopie eine offene Frage der Physik beantworten lassen. Ob nämlich fundamentale Naturkonstanten wirklich konstant sind oder ob sich ihre Werte mit der Zeit langsam verändern. Letzteres würde sich darin zeigen, dass Resonanzlinien zeitlich driften. Das wäre bei sehr scharfen Röntgenspektren auch innerhalb relativ kurzer Messzeiträume feststellbar.

Die Methode könne, sobald anwendungsreif, leicht in Experimente am DESY oder der ESRF integriert werden, meint Evers. „Es ist ein Gerät in Schuhschachtelgröße denkbar, das in kurzer Zeit installierbar wäre, und unsere Rechnungen zeigen, dass ein Verstärkungsfaktor von etwa 10 möglich sein sollte“, sagt der Physiker.

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