Depression bei Drosophila

Fruchtfliegen reagieren auf anhaltenden Stress ähnlich wie Menschen

08.06.2017 - Deutschland

Anhaltender Stress löst bei der Fruchtfliege Drosophila melanogaster einen depressionsartigen Zustand aus, der sich in einem veränderten Verhalten beim Klettern, Laufen und der Balz zeigt. Dies ergab eine Studie von Neurobiologen der Johannes Gutenberg-Universität Mainz (JGU). Wie beim Menschen auch, geht der depressionsähnliche Zustand bei Drosophila mit einem Serotoninmangel einher und kann durch Antidepressiva behoben werden. Aber auch die Fütterung von Zucker bringt eine Verbesserung, die fast so wirksam ist wie die Behandlung der Fliegen mit Lithium. Diese Substanz wird seit rund 50 Jahren bei Patienten mit bipolaren Störungen oder Depression erfolgreich eingesetzt. Die Wissenschaftler hoffen, dass aufbauend auf den neuen Erkenntnissen künftig Strategien entwickelt werden können, um die Widerstandsfähigkeit (Resilienz) gegen Stress und depressive Erkrankungen zu stärken.

Foto/©: Tim Hermanns, AG Strauss

Fruchtfliegen in der Vibrationsapparatur: Wiederkehrende Vibrationen kommen überraschend für 20 Sekunden und können nicht vermieden werden. Über Nacht werden die Fliegen auf Futter gehalten.

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Antidepressiva und auch Zucker können Fruchtfliegen aus einem depressionsartigen Zustand herausholen

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Foto/©: Tim Hermanns, AG Strauss

Drosophila melanogaster wird im Labor seit über 100 Jahren als Modellorganismus verwendet, um genetische, entwicklungs- und neurobiologische Fragestellungen zu untersuchen. Die Mainzer Biologen aus der Arbeitsgruppe von Prof. Dr. Roland Strauss haben für ihre Depressionsstudie die Fliegen über mehrere Tage hinweg unkontrollierbarem Stress ausgeliefert, der durch wiederholte Vibrationen von 300 Hertz hervorgerufen wurde. Im Verlauf von drei Stresstagen nahm die Bereitschaft der Tiere, eine Lücke einer bestimmten Breite zu überklettern, kontinuierlich von 50 auf 30 Prozent ab. Aber nicht nur die Kletterversuche gingen zurück, die gestressten Fliegen zeigten sich auch in ihrer Laufaktivität und dem Balzverhalten weniger motiviert als die nicht gestresste Kontrollgruppe. Das Fluchtverhalten dagegen funktionierte normal, das heißt die Fliegen waren nicht körperlich beeinträchtigt. „Die Fruchtfliegen zeigen unter Stresseinfluss alle Anzeichen einer Depression. Verhaltensweisen, die selbst erzeugt sind und Motivation erfordern, also nicht wie Fluchtverhalten von außen stimuliert sind, werden massiv reduziert“, erklärt Ariane-Saskia Ries, Erstautorin der Studie.

Motivationsdefizit durch Gabe von Lithiumchlorid oder Verfütterung von Zucker behoben

Im nächsten Schritt untersuchten die Wissenschaftler, ob sich der depressionsähnliche Zustand der Fliegen durch Medikation mit Lithium verbessern lässt. Lithium wird als Lithiumchlorid bei depressiven oder manisch-depressiven Patienten erfolgreich eingesetzt, die genaue Wirkungsweise ist allerdings unbekannt. Nach dreitägigem Stress brachte die Verabreichung von 50 tausendstel Mol Lithiumchlorid nicht nur eine Erleichterung von dem depressionsartigen Zustand, sondern führte darüber hinaus zu manischem Kletterverhalten. Die Gabe von nur 5 tausendstel Mol reichte aus, um die gestressten Fliegen zu entlasten und die normale Klettermotivation wieder herzustellen. „Wir können sowohl manisches Verhalten als auch eine normale Entspannung von depressionsartigen Zuständen gezielt auslösen. Daher ist anzunehmen, dass sowohl beim Menschen als auch bei gestressten Fliegen biochemische Signalwege, die evolutionsgeschichtlich seit alters her erhalten sind, eine Rolle spielen“, teilt Roland Strauss dazu mit. Dies öffnet die Türe, um die genetischen Ursachen der Lithiumtoxizität und die Funktionsweise von Lithium in der Therapie zu erforschen.

Eine wichtige Rolle bei der Signalübertragung im Gehirn und damit für das Motivationssystem spielt der Neurotransmitter Serotonin. Ein Mangel wird bei Säugetieren als Ursache von Depressionserkrankungen angenommen. Wurden die gestressten Fliegen mit dem Serotoninvorläufer L-5-Hydroxytryptophan gefüttert, konnten sie sich ebenfalls von dem depressionsartigen Zustand erholen. Fast der gleiche Effekt stellte sich mit einer fünfprozentigen Zuckerlösung ein – eine Zufallsentdeckung, weil die Wissenschaftler L-5-Hydroxytryptophan zunächst mit zuckerhaltiger, blauer Lebensmittelfarbe markiert hatten. Bei regelmäßiger Zuckergabe nach Stressattacken ist sogar eine präventive Wirkung zu erzielen.

Ein Mangel an Serotonin zeigt sich bei depressionsartigen Zuständen nur in einem bestimmten Areal des Gehirns von Drosophila, dem Alpha-Lobus des Pilzkörpers. Der Pilzkörper ist die wichtigste Lernstation des Gehirns und vergleichbar mit dem Hippocampus der Wirbeltiere. Eine Aktivierung des Alpha-Lobus, zum Beispiel durch Zucker, fördert das Kletterverhalten von Drosophila, während eine Aktivierung des Gamma-Lobus die Klettertätigkeit hemmt. Ist der Gamma-Lobus komplett zerstört, kann auch keine Depression mehr ausgelöst werden. „Das Serotoninsystem hält die Tiere in der Balance. Ein bisschen Stress ist gesund und fördert die Aktivität, zu viel Stress dagegen verursacht Depressionen und Antriebslosigkeit“, fasst Strauss zusammen. Auf Basis dieser Ergebnisse wollen die Mainzer Neurobiologen als nächstes untersuchen, wie es genau zur Akkumulation von Stress als Auslöser von Erkrankungen kommt.

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