Vorhersagbare genetische Interaktionen

07.06.2017 - Österreich

Obwohl wir die gesamte Sequenz des menschlichen Genoms kennen, können Wissenschaftler daraus nicht feststellen, wie eine bestimmte Person aussieht. Dass man das Genom nicht wie ein Buch lesen kann ist, liegt unter andrem daran, dass Gene und die individuellen Basenpaare innerhalb der Gene auf verschiedenste Art mit einander interagieren. Durch diese sogenannte Epistase ist es schwer vorherzusagen, welchen Effekt verschiedene genetische Kombinationen haben. Ein Forscherteam am Institute of Science and Technology Austria (IST Austria) hat nun ein Modell entwickelt, mit dessen Hilfe sie zum ersten Mal vorhersagen können, wie zwei individuelle Basenpaare interagieren.

IST Austria/Lisa Cichocki

Erstautor Mato Lagator überprüft im Labor, wie verschiedene Mutationen in E. Coli Bakterien interagieren.

Eine wichtige Form der Interaktion zwischen Genen ist die Vorzeichenepistase („sign epistasis“). Wie der Name andeutet, ändert diese das Vorzeichen, mit dem die Mutation eine biologische Eigenschaft beeinflusst: von positiv zu negativ oder umgekehrt. Das bedeutet etwa, dass zwei Mutationen, die – jede für sich alleine – schädigend sind, dann vorteilhaft sein können, wenn sie beide gemeinsam im selben Individuum auftreten. Ein Beispiel aus der Welt der Bakterien sind Toxine und die Exporter, die die Toxine aus der Zelle pumpen: Eine Mutation, die zur Produktion eines Toxins führt, kann das Bakterium töten, wenn sie allein auftritt. Die Produktion eines Toxinexporters alleine – ohne Toxin – verschwendet kostbare Energie und schadet dadurch dem Bakterium. Ein Bakterium aber, das sowohl Toxin als auch Toxinexporter produziert, kann konkurrierende Organismen töten und dadurch – in der Sprache der EvolutionsbiologInnen gesprochen –“seine Fitness steigern“.

Die Epistase spielt eine wichtige Rolle in der Evolution komplexer genetischer Systeme. Sie zu verstehen ist bildet die Grundlage zur Beantwortung einer Bandbreite an Fragen von der Entwicklung der biologischen Geschlechter bis zur Aufspaltung der Arten. Ob eine bestimmte Mutation schädlich oder nützlich sein wird, ist allerdings sehr schwer vorauszusagen, denn bis dato konnten WissenschaftlerInnen die Auswirkung von Interaktionen verschiedener Mutationen nicht vorhersagen.

In ihrer Studie konzentrierten sich die Forscher am IST Austria auf ein sehr einfaches Modelsystem um Epistase zu berechnen. Sie untersuchten Mutationen in einem regulatorischen Element von Bakterien, das die Gentranskription reguliert. In diesem Prozess wird, ausgehend von einer genetischen Sequenz, ein Protein erzeugt. Im untersuchten regulatorischen Element wird die Genexpression eingeschalten, wenn die aktivierende RNA Polymerase (RNAP) bindet, und ausgeschalten, wenn ein repressiver Transkriptionsfaktor (TF) bindet. RNAP und TF binden am selben regulatorischen Element, die Bindungen schließen sich also gegenseitig aus. Die Forscher untersuchten die Interaktionen zwischen Mutationen in den Bindungsstellen von RNAP und TF. Sie fanden, dass sich in ihrem System das Vorzeichen der Epistase ändert, abhängig davon, ob der repressive TF vorhanden ist oder nicht.

Die Forscher erstellten dann ein thermodynamisches Modell, mit dessen Hilfe sie die Auswirkung der Epistase berechnen können. Es beruht auf statistischen thermodynamischen Annahmen, um zu modellieren, wann ein Gen exprimiert ist. Mit diesem Model können sie die Auswirkungen der Epistase, die sie im experimentellen System beobachteten, vorhersagen. Mato Lagator erklärt die Bedeutung ihrer Arbeit so: “Nur mit dem Wissen ausgestattet, ob die einzelnen Mutationen schädlich oder nützlich sind und wie groß das Ausmaß dieses Effekts ist, können wir nun vorhersagen, ob die Interaktion zwischen zwei Mutationen schädlich oder nützlich sein wird. Unsere Studie zeigt, dass es möglich ist, ein Model zu erstellen, das Epistase korrekt vorhersagt, solange die molekularen Mechanismen, die dabei am Werk sind, berücksichtigt werden.“

Die Studie entstand in einer Zusammenarbeit der Gruppen von Nick Barton, Jonathan Bollback und Călin Guet am IST Austria. Interdisziplinarität – eines der Kernprinzipien des IST Austria – spielte also eine wichtige Rolle im Erreichen dieses Ziels. „Die zwei Postdocs, die diese Studie durchführten, brachten das Wissen aus drei Gebieten zusammen: Mato Lagator, der sowohl in der Gruppe von Jonathan Bollback als auch in meiner Gruppe arbeitet, besitzt Expertise in experimenteller Evolutionsbiologie und molekularer Biologie, und Tiago Paixão, ein Postdoc in der Gruppe von Nick Barton, trug das Wissen um theoretische Aspekte bei“, erklärt Gruppenleiter Călin Guet. „Hätten wir die verschiedenen Gebiete nicht kombiniert, wäre dieser Durchbruch nicht möglich gewesen,“ fügt er hinzu.

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