Angriff aufs Gehirn: Zika-Virus und Neurologie

08.03.2016 - Deutschland

Der Zusammenhang zwischen der Infektion mit dem Zika-Virus und der neurologischen Erkrankung Guillain-Barré-Syndrom (GBS) gilt als sehr wahrscheinlich, wie eine aktuelle Studie im Wissenschaftsmagazin „The Lancet“ zeigt. „Diese Verbindung ist tatsächlich nicht überraschend“, kommentiert die Neurologin Prof. Uta Meyding-Lamadé von der Deutschen Gesellschaft für Neurologie. „Das Zika-Virus zählt wie das Dengue-Virus zu den Flaviviren. Und das Guillain-Barré-Syndrom als Folge des Dengue-Fiebers ist gut bekannt“, so die Ärztliche Direktorin am Krankenhaus Nordwest in Frankfurt am Main.

Das Zika-Virus breitet sich seit dem Jahr 2015 rasant aus, vor allem in Ländern Lateinamerikas wie Brasilien und Kolumbien. Gefährlich ist das Zika-Virus auch für Schwangere und deren Ungeborene. Der Verdacht: Es löst eine Mikrozephalie aus – die Neugeborenen leiden unter zu kleinen Gehirnen, geistigen Behinderungen und schweren neurologischen Schäden. Das Zika-Virus scheint bei den Föten ausschließlich das Gehirn zu befallen. Nachgewiesen wurden auch Augenschäden bei Babys. Bewiesen ist dieser Zusammenhang aber noch nicht.

Das Virus wurde 1947 erstmals bei einem Affen im Zikawald in Uganda, Afrika, isoliert. Daher stammt auch der Name „Zika-Virus“. Inzwischen hat es sich nicht nur in Afrika, sondern auch in Asien ausgebreitet. Größere Ausbrüche beim Menschen gab es 2007 in Mikronesien und ab 2013 in anderen Inselstaaten im pazifischen Raum, etwa Französisch-Polynesien. Derzeit breitet sich das Zika-Virus in Mittel- und Südamerika aus. Reisende haben das Virus aber auch in die USA und nach Europa eingeschleppt. Das Zika-Virus zirkuliert derzeit in 34 Ländern, 26 davon liegen in Amerika.

Diese Schäden kann das Zika-Virus verursachen

Bei Erwachsenen gilt ein Zusammenhang zwischen der Zika-Virus-Infektion und dem Guillain-Barré-Syndrom (GBS) als praktisch erwiesen. Bekannt ist, dass das GBS nach akuten Infektionen auftreten kann, zum Beispiel dem Dengue-Fieber. „Und Auslöser dieser Tropenkrankheit sind Flaviviren, zu denen auch das Zika-Virus zählt“, kommentiert Meyding-Lamadé.

Die Weltgesundheitsorganisation WHO gibt jetzt Tipps für Ärzte und medizinisches Personal, um deren Wissen über das GBS aufzufrischen. Dazu zählen Schulungen, das diagnostische Vorgehen im Verdachtsfall, mögliche Komplikationen und Therapien. Anlass ist eine aktuelle Fall-Kontroll-Studie mit 42 Patienten mit GBS aus Französisch-Polynesien, die im medizinischen Fachblatt „The Lancet“ veröffentlicht wurde. Alle hatten eine Zika-Infektion durchgemacht, und es ließen sich Antikörper nachweisen. Die Studie legt erstmals einen deutlichen Zusammenhang zwischen dem Virus und der neurologischen Erkrankung nahe. Das GBS ist eine Erkrankung des peripheren Nervensystems, bei der es zu Lähmungserscheinungen und Gefühlsstörungen kommt, die meist in den Händen oder Füßen beginnen. Der Grund ist eine fehlgeleitete Immunreaktion: Körpereigene Abwehrmechanismen greifen im Sinne einer Kreuzreaktion die Hülle der Nerven oder die Membran der Nervenaxone an („molecular mimicry“) und schädigen diese. Die Ursachen für das GBS sind noch weitgehend unklar, meist tritt es jedoch nach einer Infektion auf.

Das Zika-Virus steht zudem im Verdacht, bei Kindern im Mutterleib Hirnfehlbildungen, die sogenannte Mikrozephalie, zu verursachen. Das gilt vor allem, wenn sich die Schwangeren im ersten Schwangerschaftsdrittel angesteckt haben. In den ersten Schwangerschaftswochen bildet sich das Neuralrohr aus, eine Vorstufe des zentralen Nervensystems; aus diesem entwickeln sich später Gehirn und Rückenmark. „In dieser Phase ist das Gehirn besonders empfindlich gegenüber Medikamenten, Strahlen, aber eben auch gegenüber Parasiten und Viren“, erklärt Meyding-Lamadé. Einige Babys von Müttern, die eine Zika-Virus-Infektion in der frühen Schwangerschaft durchgemacht haben (aber nicht alle), werden mit zu kleinen Köpfen und Gehirnen geboren. Neugeborene mit der sogenannten Mikrozephalie leiden unter geistigen Behinderungen und neurologischen Schäden. „Wir vermuten eine hämatogene Ausbreitung über das Blut und die Lymphbahnen bis ins Gehirn“, sagt Meyding-Lamadé. „Vom Zeitpunkt der Infektion hängen vermutlich die Schwere und das Ausmaß der Fehlbildung ab. Aber im Prinzip kann jede Gehirnstruktur geschädigt sein“, so die Frankfurter Professorin. Möglich seien unter anderem Epilepsien, Lähmungen oder Einschränkungen der Hör- und Sehfähigkeit.

Brasilianische Forscher von der Päpstlichen Katholischen Universität von Paraná entdeckten den Krankheitserreger im Hirngewebe mehrerer Neugeborener mit Mikrozephalie. Schon zuvor hatte sich der Verdacht auf einen Zusammenhang zwischen Zika-Virus-Infektion und Mikrozephalie erhärtet, wie ein Bericht der amerikanischen Centers for Disease Control and Prevention (CDC) und eine Studie im „New England Journal of Medicine“ (NEJM) zeigten. Forscher hatten Gewebeproben von zwei verstorbenen Säuglingen und von zwei Fehlgeburten untersucht. In allen vier Fällen wurden Zika-Viren entdeckt, die mit den in Brasilien zirkulierenden Virusstämmen übereinstimmten. Und: Die Zika-Viren fanden sich ausschließlich im Gehirn. „Wir wissen, dass manche Viren bevorzugt das Gehirn und gezielt Nervenstrukturen angreifen“, so Meyding-Lamadé. Auch Gewebeveränderungen wie Verkalkungen, Knoten in den Gliazellen, degenerierte Zellen und Nekrosen wurden nur im Gehirn entdeckt. „Von 460 in Brasilien bestätigten Fällen von Mikrozephalie wurde bislang aber nur bei 41 Fällen ein hoch wahrscheinlicher Zusammenhang mit dem Zika-Virus vermutet“, sagt Meyding-Lamadé. Wie das Zika-Virus genau wirkt, ist noch unklar. Die WHO bietet in zwei Publikationen Ärzten Hilfestellung zum Vorgehen bei Mikrozephalie und Tipps für stillende Mütter.

Das Zika-Virus kann offenbar auch Augenschäden anrichten. Ein Team um den brasilianischen Mediziner Bruno de Paula Freitas vom Hospital Geral Roberto Santos in Salvador untersuchte 29 Kinder mit Mikrozephalie auf Augenschäden. 23 der Mütter berichteten von Zika-Symptomen meist im ersten Schwangerschaftsdrittel. Zehn Kinder hatten auffällige Augenschäden, zum Teil an beiden Augen. Am häufigsten war die Netzhaut geschädigt. Aber auch der Sehnerv, die Iris und die Linse waren angegriffen. Die Mediziner gehen davon aus, dass diese Befunde auf eine Zika-Infektion zurückzuführen sind. „Das Auge ist ein sehr verletzliches Organ“, sagt Meyding-Lamadé.

Einzelne Todesfälle im Zusammenhang mit einer Zika-Virus-Infektion betrafen Menschen mit schweren Vorerkrankungen.

Die Verbreitungswege des Zika-Virus

Überträger des Zika-Virus ist vor allem die Mücke Aedes aegypti, die auch Dengue-, Chikungunya- und Gelbfieber verbreiten kann. Die Mücke ist tag- und nachtaktiv und kommt in Deutschland bisher nicht vor. Aber auch die asiatische Tigermücke Aedes albopictus kommt als Überträger des Zika-Virus in Frage – sie ist vereinzelt in Süddeutschland zu finden. Welcher Prozentsatz an Mücken mit dem Zika-Virus infiziert ist, ist unbekannt. Für größere Zika-Virus-Ausbrüche sei vermutlich das Klima in Deutschland zu ungünstig. Zudem müsste sich eine Mücke erst selbst an einem Zika-Patienten infizieren, bevor sie einen anderen Menschen sticht und so das Zika-Virus weiterverbreiten könnte. In Deutschland gibt es derzeit nur wenige Zika-Patienten, die sich auf Reisen infiziert hatten. Bisher sind auch nur Einzelfälle bekannt, bei denen man zum jetzigen Stand davon ausgeht, dass das Zika-Virus durch sexuellen Kontakt übertragen wurde. Eine Bestätigung, dass das Zika-Virus durch Geschlechtsverkehr übertragen wird, gibt es derzeit noch nicht, es könnte allerdings auch auf diesem Wege von Mensch zu Mensch übertragen werden. Virusbestandteile wurden auch in Urin, Sperma und Speichel nachgewiesen. Ob sich die Zika-Viren auch über diese Übertragungswege verbreiten können, versuchen aktuelle Untersuchungen zu klären.

Symptome einer Zika-Virus-Infektion

Eine Zika-Virus-Infektion verläuft oft asymptomatisch – die Betroffenen verspüren keinerlei Beschwerden. „Nur jeder Fünfte, der von einer mit Zika-Viren infizierten Mücke gestochen wird, infiziert sich“, sagt die Neurologin. Das heißt, dass die meisten von Mücken gestochenen Schwangeren keine Zika-Virus-Infektion und ihre ungeborenen Kinder keine Mikrozephalie entwickeln. Eine Untersuchung auf den pazifischen Yap-Inseln ergab, dass 63 Prozent der Bevölkerung Antigene gegen das Zika-Virus besaßen. Schwere Erkrankungen waren nicht aufgetreten. Die häufigsten Symptome der meist leicht verlaufenden Zika-Virus-Infektion sind Hautausschlag, Kopf-, Gelenk- und Muskelschmerzen, Bindehautentzündung und Fieber. Die Beschwerden verlaufen aber milder als bei anderen Tropenkrankheiten, die durch Mücken übertragen werden, etwa Gelbfieber oder Dengue-Fieber. Die Symptome entwickeln sich meist drei bis sieben Tage nach einem infektiösen Mückenstich und dauern bis zu einer Woche an. Eine Behandlung im Krankenhaus ist in der Regel nicht nötig.

Zika-Virus – Therapien und Schutz

Es gibt derzeit weder einen Impfstoff noch Medikamente, mit denen sich eine Zika-Virus-Infektion gezielt behandeln lässt. Bislang war das Zika-Virus kein Kandidat für die Impfstoffentwicklung, weil die meisten Infizierten nur mild erkrankt waren – bis zum jetzigen Zika-Ausbruch. „Die Entwicklung eines Impfstoffs ist sinnvoll“, betont Meyding-Lamadé. Nur die Symptome der Krankheit lassen sich mit schmerz- und fiebersenkenden Medikamenten, viel Ruhe und ausreichend Flüssigkeit lindern. Schützen können sich Menschen, die in Zika-Gebiete reisen, durch Mückenschutzmittel (Repellents), Moskitonetze, lange, helle Kleidung sowie geschlossene Türen und Fenster. „Man sollte den Mücken keine Angriffsfläche bieten“, empfiehlt Meyding-Lamadé. Dass sich die Mücken mit Insektiziden – wie es derzeit brasilianische Soldaten tun – ganz ausrotten lassen, glaubt die Neurologin nicht. „Die Mücken sind sehr erfolgreich, ihre intensive Bekämpfung wird mit Kollateralschäden für den Menschen einhergehen.“

Tipps für Reisende

Schwangere oder Frauen, die eine Schwangerschaft planen, sollten nicht in Zika-Gebiete reisen. Ansonsten sollten sie sich vorher von einem Reisemediziner beraten lassen. „Wer von einer Reise aus Zika-Virus-Gebieten kommt, sollte auf die typischen Symptome einer Zika-Virus-Infektion achten, etwa den typischen Hautausschlag oder Fieber“, rät Meyding-Lamadé. Bei Beschwerden solle er seinen Hausarzt aufsuchen, der ihn im Verdachtsfall an ein spezialisiertes tropenmedizinisches Institut überweist. Es gibt verschiedene Methoden, um eine Infektion mit dem Zika-Virus zu diagnostizieren. Die Virusbestandteile lassen sich im Blut und im Urin nachweisen. Außerdem sollten Reiserückkehrer aus Zika-Gebieten Kondome benutzen. Das Fazit der Neurologin: „Reisende sollten keine Panik vor dem Zika-Virus haben. Dengue- und Gelbfieber bergen erheblich höhere Gefahren.“

Originalveröffentlichung

Cao-Lormeau V-M et al.; "Guillain-Barré Syndrome outbreak associated with Zika virus infection in French Polynesia: a case-control study"; The Lancet; (online) 29. Februar 2016

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