Industrie 4.0 ist deutschen Mittelständlern zu teuer
Große Unternehmen stehen dem Thema offener gegenüber
Die Vorteile von Industrie 4.0 haben die Unternehmen eigentlich schon erkannt: Vier von fünf Unternehmen (79 Prozent) schätzen Industrie 4.0 als strategisch wichtig für ihr Geschäft ein. Jedes dritte Unternehmen (34 Prozent) hält sie sogar für sehr wichtig. Am häufigsten wird die erhöhte Produktionsflexibilität als Vorteil angesehen: 62 Prozent der Unternehmen sind dieser Meinung. 57 Prozent sind zudem der Auffassung, dass sie mithilfe von Industrie 4.0 schneller auf Kunden- beziehungsweise Marktanforderungen reagieren können.
Allerdings gibt es zwei Haupthemmnisse für die Einführung von Industrie-4.0-Anwendungen in den Betrieben: Zwei von drei (64 Prozent) Unternehmen beklagen einen zu hohen Investitionsbedarf. Und nach Ansicht von 57 Prozent der Unternehmen fehlt es schlicht am dafür qualifizierten Personal.
Das sind die Ergebnisse einer Befragung der Prüfungs- und Beratungsgesellschaft EY (Ernst & Young) zusammen mit Bitkom Research. An der Befragung nahmen mehr als 550 Unternehmen teil.
Christoph Kilger, Partner bei EY, betont: „Industrie 4.0 ist zentral für die Wettbewerbsfähigkeit der Unternehmen und den Wirtschaftsstandort Deutschland – das haben die Unternehmen auch weitestgehend erkannt. Aber ihnen fehlen das Geld und das Personal. Das heißt, dass sie neue Lösungswege gehen müssen: Sie müssen Ökosysteme um das Unternehmen herum aufbauen, also Kooperationen mit Universitäten, Investoren oder anderen Unternehmen etablieren.“ Gerade deutsche Unternehmen seien außerdem noch zu vorsichtig, den Innovationsprozess offen zu gestalten. Das müsse sich ändern: „Die sogenannte Open Innovation ist beispielsweise in den USA viel verbreiteter als hier. Dabei wird der Innovationsprozess mit der Außenwelt geteilt, die ebenfalls ihren Beitrag dazu leisten kann. Hier dagegen schotten sich viele Unternehmen aus Sicherheitsbedenken regelrecht ab. Während hierzulande die Bedenken überwiegen, wird dadurch anderswo das Innovationspotenzial enorm gesteigert“, so Kilger.
Vor allem der Maschinenbau hält Industrie 4.0 für wichtig
Dabei ist die strategische Bedeutung von Industrie 4.0 in den Branchen bislang unterschiedlich angekommen. Vor allem der Maschinenbau spricht dem Thema große Wichtigkeit zu: 86 Prozent halten Industrie 4.0 für „eher wichtig“ oder „sehr wichtig“. Die geringste Bedeutung nimmt die Industrie 4.0 für Betriebe des sonstigen verarbeitenden Gewerbes (z.B. Herstellung von Fahrzeugen, Herstellung von Sportgeräten oder Herstellung von Kunststoffwaren) ein. Dort wird das Thema von 74 Prozent der befragten Unternehmen als „sehr wichtig“ oder „eher wichtig“ eingestuft.
Zudem spielt Industrie 4.0 für größere Mittelständler eher eine Rolle als für kleinere: Bei den Unternehmen mit 100 bis 499 Mitarbeitern halten 78 Prozent die strategische Bedeutung für „sehr wichtig“ beziehungsweise „eher wichtig“. Bei den Unternehmen mit 500 und mehr Mitarbeitern sehen 84 Prozent eine große strategische Bedeutung darin.
„Durch Industrie 4.0 werden die Fabriken effizienter und flexibler“, sagt Kilger. „Jedes Teil ist zur richtigen Zeit am richtigen Ort. Das spart enorme Kosten – gerade in einem Hochlohnland wie Deutschland bedeutet das einen Wettbewerbsvorteil. Gleichzeitig ist es auch möglich, kleinere Stückzahlen von einem Teil zu fertigen. Diese neue Flexibilität ermöglicht individualisierte Produkte.“
Wichtigste Trends: IT-Sicherheit, Maschine-zu-Maschine-Kommunikation
Befragt nach den wichtigsten Technologie-Trends für ihr Unternehmen, sind sich die Betriebe in Deutschland einig: IT-Sicherheit spielt die mit deutlichem Abstand größte Rolle: 99 Prozent halten sie für wichtig. Aber bereits auf den Plätzen zwei und drei folgen die klassischen Industrie-4.0-Themen: Die Kommunikation Maschine-zu-Maschine spielt für 78 Prozent eine wichtige Rolle, die Social Machines, die den Menschen in die Kommunikation mit einbeziehen, sind für 70 Prozent der Unternehmen wesentlich für ihr Geschäftsmodell.
Diese neuen Schwerpunkte stellen auch ganz andere Anforderungen an die Beschäftigten: „In der Fabrik von morgen lösen sich die Grenzen zwischen IT und Produktion auf. Das stellt völlig neue Anforderungen an die Fachkräfte von morgen“, sagt Kilger. Künftig müssten zum Beispiel auch Maschinenbauer oder Elektrotechniker über Kenntnisse der Softwareprogrammierung verfügen. „Das muss sich auch an den Universitäten wiederspiegeln – etwa durch die Einrichtung von Hybridstudiengängen. Auch für angelernte Kräfte wird noch genügend Raum bleiben. Sie müssen sich allerdings auf eine neue, ebenfalls digitalisierte Arbeitsumgebung mit Datenbrillen, Tablet-Computern und verschiedensten Apps einstellen.“