Genom einer Wunderpflanze entschlüsselt
Thorsten Reusch, GEOMAR
Für die Wissenschaft ist das Große Seegras auch deshalb interessant, weil es ursprünglich eine Landpflanze war, die sich evolutionär wieder an das Meeresleben anpassen konnte. Die Vorfahren des heutigen Zostera marina sind einkeimblättrige Pflanzen, zu denen auch Weizen oder Weidelgras gehören. Das Team fand heraus, dass im Lauf der Entwicklungsgeschichte zahlreiche Anpassungen an das Landleben verloren gingen, weil diese nicht mehr benötigt wurden. Dazu zählen der Aufbau von Stützgewebe oder spezielle Mechanismen, um sich gegen Verdunstung zu schützen.
Im gleichen Maße sind neue Gene erschienen, die Anpassungen während der Rückkehr in den Lebensraum Meer darstellen. So konnten die Forscher Genfamilien identifizieren, die eine Bestäubung unter Wasser ermöglichen und den Pflanzen helfen, mit hohen Salzgehalten, geringen Lichtstärken sowie einer veränderten Parasitenzusammensetzung zurecht zu kommen. Weitere vergleichende Genomanalysen zeigten, dass die Ausbreitung der Seegräser zusammenfällt mit dem Ende der Kreidezeit vor ca. 67 Millionen. Damals starben vermutlich nach einem Meteoriteneinschlag rund 70% aller Tiere und Pflanzen aus.
„Diese Studie zeigt das enorme Potenzial der vergleichenden Genomforschung und demonstriert gleichzeitig, dass in den Biowissenschaften grundlegende Erkenntnisse nur in großen, internationalen Teams zu erzielen sind“, sagt Professor Reusch. Seegras hat für die Meeresökologie eine enorme Bedeutung. „Ohne Seegras ist der Meeresboden nur ein zweidimensionaler Sandgrund. Mit Seegras handelt es sich hingegen um einen reich strukturierten dreidimensionalen Lebensraum“, betont der Kieler Biologe. In den vergangenen Jahren sind Seegraswiesen – vor allem durch Überdüngung und direkte Zerstörung des Lebensraums – weltweit stark zurückgegangen. Die allgemeine Klimaerwärmung bedroht die Pflanzen ebenfalls. Wärmetolerante Bestände aus südlichen Regionen könnten eine „genetische Rettung“ für nördlichere Bestände sein, so Reusch. Das nun publizierte Genom kann dabei eine wichtige Grundlage bilden, um die am besten geeigneten Genotypen auszuwählen.
Auch für die Biotechnologen ist die Genomsequenzierung von großem Interesse, denn Seegräser können unter Salzgehalten existieren, die für alle Nutzpflanzen tödlich wären. „Somit bietet das Genom eine wertvolle Ressource für Biotechnologen, um Anpassungen an Versalzung bei Nutzpflanzen zu untersuchen“, erklärt Reusch.
Originalveröffentlichung
Olsen, J. L. et al.; "The genome of the seagrass Zostera marina reveals angiosperm adaptation to the sea"; Nature; 2016