Verteidigung krankmachender Proteine
ETH Zürich / Juha Saarikangas
Wir altern, weil die Zellen unseres Körpers über die Jahre beginnen, fehlerhaft zu funktionieren. Das ist die gängige Auffassung, die Wissenschaftler vom Alterungsprozess haben. Mit fortschreitendem Alter versagt zum Beispiel die zellinterne Qualitätskontrolle, die normalerweise Proteine aussortiert, welche instabil geworden sind und als Folge davon ihre dreidimensionale Struktur geändert haben. In einer Reihe von Krankheiten wie Parkinson und Alzheimer häufen sich solche verformten Proteine in den Zellen an.
Für Yves Barral, Professor für Biochemie der ETH Zürich, greift die Auffassung, der Alterungsprozess sei eine Folge von fehlerhaften Zellfunktionen und Krankheiten, zu kurz. Denn diese Ansicht vernachlässige, dass die erwähnten sogenannt Prion-ähnlichen Proteinanhäufungen mit grosser Wahrscheinlichkeit auch positive Aspekte hätten und daher nicht als zelluläres Fehlverhalten bezeichnet werden sollten, sagt er.
Alte Zellen widerstehen Stress besser
Hinweise darauf gibt ihm seine Forschung an Hefezellen. Jüngst fanden Barral und seine Kollegen in solchen Zellen eine neue Art von Proteinaggregat, die mit zunehmendem Alter der Zellen entstehen. Wie die Wissenschaftler zeigen konnten, entstehen sie nicht als Folge einer fehlerhaften zellinternen Qualitätskontrolle – ganz im Gegenteil: in Hefezellen mit solchen Aggregaten funktioniert die Qualitätskontrolle sogar besser. «Es sieht ganz danach aus, dass diese Aggregate den Hefezellen helfen, mit altersbedingten Veränderungen im Stoffwechsel umzugehen», sagt Juha Saarikangas, Postdoc in der Gruppe von Barral und Erstautor der jüngsten Studie in der Fachzeitschrift eLife. «Wir sind nun daran zu erforschen, welche Art von Information in diesen Zellstrukturen genau gespeichert ist.»
Die Wissenschaftler gehen davon aus, dass diese altersabhängigen Aggregate von mehreren verschiedene Proteinen gebildet werden. Ein Prion-ähnliches Protein haben die Forscher bereits als Bestandteil der Anhäufungen ermittelt. Welche weiteren Proteine beteiligt sind und warum die Aggregate bei der Zellteilung in der Mutterzelle verbleiben, ist Gegenstand weiterer Forschung.
Aggregate verbessern das Gedächtnis
Erste Vermutungen, dass aggregierende Proteine in den Zellen grundsätzlich auch eine positive Rolle spielen können, haben Wissenschaftler seit wenigen Jahren. Barral und seine Forschungsgruppe zeigten schon 2013, dass Hefezellen auch Erfahrungen im Zusammenhang mit einer versuchten erfolglosen sexuellen Fortpflanzung in Form von aggregierten Proteinen abspeichern. Diese Aggregate – die nicht identisch sind mit den nun gefundenen altersabhängigen Anhäufungen – dienen den Hefezellen also als molekulares Gedächtnis. Und auch bei Mäusen gibt es einen positiven Zusammenhang von Prion-ähnlichen Aggregaten und Gedächtnisleistung. Amerikanische Wissenschaftler haben vor einigen Monaten gezeigt, dass Mäuse mit solchen Ansammlungen in ihren Nervenzellen ein stabileres Langzeitgedächtnis haben.
«Schlechtes Ende einer guten Sache»
Ob solche altersabhängigen Proteinansammlungen primär ein Fehlverhalten oder eine normale Funktion gesunder Zellen sind, ist für Barral eine naturwissenschaftliche Frage, in die auch die Weltanschauung mitreinspielt: «Unsere westliche Gesellschaft fasst das Altern als etwas vorwiegend Negatives auf, als Krankheit, die es zu bekämpfen gilt», sagt er. «Dieses Denken widerspiegelt sich auch in der Arbeit vieler Wissenschaftler, die bei der Erforschung des Alterns Ausschau halten nach Defekten in den Zellen», sagt er. Andere Gesellschaften hingegen gewichteten positive Auswirkungen des Alterns wie die Zunahme an Erfahrung und Wissen höher – eine Sichtweise, die sich besser decke mit der nun gefundenen Rolle der Aggregate als Informationsspeicher oder Gedächtnis für die Zellen.
«Wir sind eine noch nicht sehr grosse Gruppe von Wissenschaftlern, die sagen: Aggregierende Proteine sind nicht pathologisch – kein Unfall und kein Schaden», sagt Barral. Vielmehr aggregierten diese Proteine, weil es ihre normale Funktion sei. Krankheiten wie Parkinson und Alzheimer entstünden nur, wenn das System aus den Fugen gerate und sich in den Zellen zu viele Prion-ähnliche Proteine am falschen Ort anhäuften. Barral: «Es gibt zwei Aspekte des Alterns. Ja, man stirbt am Ende des Prozesses, das ist negativ. Aber man stirbt weise. Und Alzheimer ist möglicherweise das schlechte Ende einer an sich guten Sache.»