Kann man eine Idee fotografieren?
Die Hirnforschung boomt – nicht zuletzt dank immer besserer bildgebender Verfahren
Science Magazine
TU Wien
Das ist der Kern von Platons Höhlengleichnis, in dem er erklärt, dass unsere Sinne nur Schatten einer höheren Art von Wirklichkeit wahrnehmen. Alles was wir sehen, so meinte Platon, ist bloß eine unvollkommene Projektion von vollkommenen, abseits unserer erfahrbaren Welt befindlichen Ideen.
Der Begriff „Idee“ hat bei Platon eine andere Bedeutung als in unserem täglichen Sprachgebrauch. Mit den Ideen und Gedanken in unserem Gehirn hat das nichts zu tun.Trotzdem erinnert die aktuelle Hirnforschung ein bisschen an Platons Höhlengleichnis. Es gibt mittlerweile sehr mächtige Techniken, mit denen man der Funktionsweise des Gehirns indirekt auf die Spur kommen kann – so als würde man durch eine präzise Vermessung der Schatten an der Höhlenwand berechnen, wie das eigentliche Objekt aussehen muss.
Ultramikroskopie
Ein wichtiger Impuls für die Hirnforschung ging von neuen Ultramikroskopier-Techniken aus. Prof. Hans-Ulrich Dodt und seine Mitarbeiter vom Institut für Festkörperelektronik der TU Wien waren die ersten, denen es gelang, Gewebe durchsichtig werden zu lassen und es dann Schicht für Schicht mit Laserstrahlen zu untersuchen. „Durch diese Verbindung von Gewebeklärung und Lasertechnik entstand ein neues Hochpräzisions-Werkzeug für die Untersuchung von Nervengewebe“, sagt Hans-Ulrich Dodt.
Das Hirn wird durchsichtig
Biologisches Gewebe besteht hauptsächlich aus Wasser und Proteinstrukturen. Beides kann von Lichtstrahlen recht leicht durchdrungen werden, doch weil beide Materialien optisch ganz unterschiedliche Eigenschaften haben, werden Lichtstrahlen auf ihrem Weg durch die Zellen gestreut und abgelenkt – daher ist das Gewebe für unsere Augen undurchsichtig. Wenn man allerdings das Wasser im Gewebe durch eine Flüssigkeit mit optisch passenden Eigenschaften ersetzt, dann kann man plötzlich ins Gewebe hineinsehen.
„Durch Genmanipulation kann man erreichen, dass das Nervengewebe fluoreszierende Moleküle enthält“, erklärt Hans-Ulrich Dodt. „In dünnen Schichten durchleuchten wir das Gewebe mit Laserstrahlen und registrieren in jeder Schicht die fluoreszierenden Moleküle, die vom Laser zum Leuchten angeregt werden.“ Dadurch lässt sich am Computer ein dreidimensionales Bild der fluoreszierenden Zellen zusammensetzen.
Forschungs-Boom durch Ultramikroskopie
Besonders in den USA hat sich die Ultramikroskopie rasch durchgesetzt. Auch in Europa wird der Hirnforschung heute eine hohe Bedeutung beigemessen – Hans-Ulrich Dodt ist auch Konsortiumsmitglied des Human Brain Project der EU, das insgesamt mit einer Milliarde Euro dotiert ist. Die Forschung in diesem Projekt ist eher in Richtung Informatik und Gehirn-Simulation ausgerichtet, doch um die Funktion des Gehirns am Computer nachbilden zu können muss man sie zuerst genau verstanden haben.
„Wir sehen derzeit einen Übergang vom bloßen Untersuchen der Anatomie zur Untersuchung der Funktion“, sagt Hans-Ulrich Dodt. Es ist mittlerweile möglich, fluoreszierende Marker zu entwickeln, deren Leuchten davon abhängt, ob die Nervenzelle aktiv war oder nicht. So wird man beispielsweise studieren können, wo posttraumatische Störungen im Gehirn abgespeichert sind. Man wird abbilden, welche Hirnareale durch welches Verhalten aktiviert werden – mit bisher unerreichter Auflösung.
„Das langfristige Ziel ist, den Ort spezifischer Erinnerungen aufzuspüren“, sagt Hans-Ulrich Dodt. Erinnerungen sind wohl in unzähligen Synapsen des Gehirns abgespeichert – doch wie das auf mikroskopischer Ebene genau abläuft, kann man heute noch nicht beobachten. In den nächsten zehn bis zwanzig Jahren könnte dieser Traum aber durchaus in Erfüllung gehen, meint Dodt.
Das vergrößerte Gehirn
Die Wege dahin sind oft unvorhersehbar: Erst kürzlich gelang es einer US-amerikanischen Gruppe auf ganz ungewöhnliche Weise, ihr Mikroskopieverfahren zu verbessern: Anstatt die optische Auflösung zu verbessern, vergrößerte man das Gehirn. „Es ist möglich, die Bestandteile des Gehirngewebes durch Chemikalien zu ersetzen, die sich dann in Wasser ausdehnen“, erklärt Hans-Ulrich Dodt. Die Ausdehnung geht so gleichmäßig vor sich, dass sich die Struktur des Gehirns dabei nicht verändert. So kann man am Ende in einem ganz gewöhnlichen Mikroskop Details erkennen, die vorher unsichtbar gewesen wären. Man untersucht also nicht das Hirn selbst, sondern ein vergrößertes Abbild davon – so wie die Gefangenen in Platons Höhlengleichnis bloß einen vergrößerten Schatten untersuchen können. Dodt veröffentlichte kürzlich im Journal „Science“ einen Kommentar über diese Technik.
Mit welchen Werkzeugen man in Zukunft Hirnforschung betreiben wird, ist schwer zu sagen, doch eins steht für Hans-Ulrich Dodt fest: „Die Entwicklung ist in diesem Bereich wirklich rasant. Sie geht in Sprüngen und jeder Sprung ist letztlich auf das Auftauchen einer neuen Untersuchungstechnik zurückzuführen. Deshalb ist die Hirnforschung an einer technischen Universität auch sehr gut aufgehoben.“